Albumcover "Freu dich mal!"
08.12.2023


Café Unterzucker: „Freu dich mal!“



Ode an die Freude?



Krieg in der Ukraine, Nahost-Konflikt, Rechtsruck, soziale Spaltung, Haushaltsloch, Klimawandel ... Die Lage ist mehr als kompliziert! Angesichts der gegenwärtigen Krisen ein lautstarkes „Freu dich mal!“ auszurufen, wirkt da einigermaßen zynisch. Doch Café Unterzucker haben schon immer Ironie als Stilmittel eingesetzt und so dürfen wir vermuten, dass auch in diesem Albumtitel eine gewollte Doppeldeutigkeit angelegt ist. Vor bereits zehn Jahren haben der Theatermusiker Tobias Weber und der Autor Richard Oehmann das Ensemble Café Unterzucker gegründet. „Freu dich mal!“, das nunmehr vierte Album des bayerischen Künstler*innenkollektivs, wurde durch ein Musikstipendium der Stadt München unterstützt. Die Jury, die über die Vergabe der Fördermittel zu entscheiden hatte, zeigte sich begeistert von der „besonderen Art der Kinderkultur“ und zählt das Schaffen von Café Unterzucker „zum Wertvollsten, was man Kindern heutzutage an musikalischer Unterhaltung anbieten kann.“ Stellen wir dieses überschwängliche Urteil mal auf den Prüfstand.

Bislang folgten alle Alben von Café Unterzucker verlässlich zwei Grundprinzipien. Zum einen ließen sich die Lieder immer einem thematischen roten Faden zuordnen, zum anderen wurde die Musik gerne von kurzen Comedy-Sketchen unterbrochen, in denen das chaotische Miteinander des leicht verpeilten Chors der Romantiker ungeniert zur Schau gestellt wurde. „Freu dich mal!“ verzichtet nun erstmals auf eine inhaltliche Klammer. Zwar wird das Album im Untertitel als eine Sammlung von „kindischen Feierliedern“ gelabelt, doch diese Zuordnung trifft allenfalls auf eine Handvoll Songs zu, wie etwa „Hey ho, Geburtstagskind“, das „Freibad-Lied“ oder „Manchmal ist Weihnachten“. Die Entscheidung, sich inhaltlich nicht so sehr einzuengen, tut dem Album definitiv gut. Dem Chor der Romantiker wird diesmal aber deutlich mehr Platz eingeräumt. Lautstark grölt er in vielen Liedern mit und inszeniert am Ende des Albums auch noch das elfminütige und etwas albern geratene Krippenspiel „Weihnachten zu Ostern“. Unverändert bleibt dagegen das volkstümlich anmutende musikalische Gerüst aus Gitarre, Tuba und Schlagzeug, das je nach Genre der einzelnen Songs durch weitere Instrumente ergänzt wird. Viele der beteiligten Musiker*innen kommen aus dem Umfeld des Münchener Independent-Labels Trikont, bei dem auch Café Unterzucker eine Heimat gefunden haben. Selbstverständnis dieses Hauses ist es, „Musik von unten“ zu veröffentlichen. Lieder, die der vorherrschenden Expertenkultur und kommerzieller Glätte entgegenwirken möchten. Dieser Kontext ist wichtig, um die Arbeit der Band besser einordnen zu können.

Würde man nämlich alles, was hier gesagt und gesungen wird wortwörtlich nehmen, dann wäre „Freu dich mal!“ beinah schon ein Fall für den Kinder- und Jugendmedienschutz. Voller Frohsinn stellt beispielsweise das „Fehler-Lied“ eine von Toleranz geprägte Fehlerkultur infrage. (»Liebe Leute, seht es ein, Irren kann zwar menschlich sein, doch müsst ihr es vermeiden / denn nur, wer niemals was versaut, dem wird von anderen auch getraut und jeder kann ihn leiden.«) In Gestalt eines rheinischen Karnevalslieds bricht auch „Gib dat her“ mit allen pädagogischen Intentionen. (»Gib dat her, dat kannst du nicht, da bist du noch zu klein / da fehlt dir noch das Kampfgewicht, drum lass dat lieber sein.«) Beschwingt vergrault „Tombola“ die Freude am Schenken, während das stimmungsvolle Shanty „Manchmal ist Weihnachten“ das Dankbarkeitskonzept der positiven Psychologie aufs Korn nimmt. Erst in diesem Zusammenhang erschließt sich auch das Anliegen des Titelsongs „Freu dich mal!“, das dem Aufruf zu zwanghaft guter Laune durchaus skeptisch gegenübersteht. (»Freu dich mal, lass doch ab von dem Gestöhn / freu dich mal, denn du hast es doch so schön.«)

Nur wenige Lieder treiben es mit dieser antipädagogischen Haltung nicht ganz so weit auf die Spitze. Und doch stecken auch sie voller erzählerischer Widersprüche. Angelehnt an den kubanischen Klassiker „Guantanamera“ wird in „Hygiene“ beispielsweise nicht nur an das Zähneputzen und das Aufräumen, sondern auch an die lästige Pflicht zur Steuererklärung erinnert. Temporeich und voller Energie distanziert sich „Schöner, neuer Tag“ vom Lebensmotto „Carpe Diem“, während sich der zu arabischen Klängen besungene „Mondbrand“ als das Gegenteil vom Sonnenbrand definiert. Präzise und klug bemühen sich Café Unterzucker in fast jedem Lied um Abgrenzung und positionieren sich damit als konsequenter Gegenentwurf zu gewöhnlicher Kindermusikkultur.

Fazit: Grob skizziert fußt das Konzept der Antipädagogik auf der Überzeugung, dass Erziehung nicht nur überflüssig, sondern geradezu lebensfeindlich sei. Fremdbestimmung und Unterwerfung kommen demnach einer Entmündigung gleich und stehen im Widerspruch zur Unantastbarkeit der Würde eines Kindes. Café Unterzucker haben dieses Konzept zur Grundlage ihrer musikalischen Arbeit für Kinder erkoren und dürften damit stark polarisieren. Gezielt stellt das Ensemble die Ironiefähigkeit von Kindern auf die Probe und hält uns Erwachsenen zugleich schonungslos den Spiegel vor. Manchen Eltern werden der oft derbe Humor und die lustvoll zelebrierte Gegenkultur gehörig gegen den Strich gehen. Umso mehr stellt diese Haltung aber die Nähe zur Kernzielgruppe her, denn Kinder lieben sinnbefreite Albernheiten und tun ausgesprochen gerne das Gegenteil von dem, was sogenannte Erziehungsberechtigte von ihnen erwarten. Je nach Perspektive muten oder trauen Café Unterzucker ihren Hörer*innen mit diesem Album also viel zu. Musikalisch vielseitig und hochpolitisch verkörpert das Ensemble eine beschwingte Antithese zu fast allem, was die kommerziell geprägte Kinderkultur der Gegenwart ausmacht. Wer „Freu dich mal!“ als Einladung versteht, sich den Widersprüchlichkeiten des Lebens auch mal gelassen und selbstkritisch hinzugeben, der wird an diesem Album ganz sicher die im Titel eingeforderte Freude haben. Dass man es (mit Ausnahme von zwei Liedern) vergeblich auf den Streaming-Plattformen suchen wird, erklärt sich vor dem Hintergrund seines Entstehungskontextes vermutlich von selbst.


Video




Erschienen bei


Trikont

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto "Café Unterzucker"

Café Unterzucker

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