Albumcover "So gut wie neu"
24.11.2023


Radau!: „So gut wie neu“



Würdigung einer Lebensleistung



So gut wie neu. Gemeinhin wird diese Umschreibung für Gegenstände verwendet, die bereits völlig abgenutzt waren, mittels Reparatur aber in einen nahezu neuwertigen Zustand zurückversetzt werden konnten. Den Kinderliedern von RADAU! pauschal Abnutzungserscheinungen zu unterstellen, wäre angesichts ihrer soliden Beständigkeit jedoch etwas despektierlich. Seit 25 Jahren gibt es die Hamburger Band inzwischen. Das ist eine ziemlich lange Zeit, in der RADAU! mehrere Generationen von Kindern musikalisch begleitet und begeistert haben – und es bis heute noch tun. So ein Bandjubiläum bietet einen hervorragenden Anlass, sich selbst sowie alte und neue Fans mit einem musikalischen Geschenk zu beglücken. Genau das tun RADAU! mit „So gut wie neu“, einer Zusammenstellung zehn sorgsam ausgewählter Hits, die allesamt eine akustische Frischzellenkur durchlaufen haben.

Machen wir uns zu Beginn nochmal klar: Als die vier Hamburger Musiker um Frontmann Arne Gedigk 1998 eine Rockband für Kinder gründeten, um als solche „garantiert blockflötenfreie“ Songs in die Welt zu bringen, gab es für diese Art von Kindermusik kaum Vorbilder. Selbst zehn Jahre später, als ich beim WDR-Kinderhörfunk für die Musikauswahl mitverantwortlich war, war das Feld professionell arbeitender Kindermusik-Acts noch immer überschaubar. Gerade in diesem Kontext waren Kinderlieder, die durch intelligente Texte und ein modernes Musikverständnis bestachen, ein großer Segen, boten sie doch die Möglichkeit, Kindern auch im Radio ein zielgruppengerechtes und qualitativ hochwertiges musikalisches Angebot zu machen. RADAU! bezeichnen sich also völlig zu Recht als Pioniere ihrer Zunft. „So gut wie neu“ bietet nun einen historisch ausgewogenen Querschnitt durch das musikalische Schaffen der Band.

Piraten“ beispielsweise stammt vom Debut-Album „Am liebsten laut“ und griff schon damals eines der klassischsten Kinderliederthemen überhaupt auf. Dank einer musikalischen Umsetzung, die sich mehr an Popmusik als an Kinderliedermacherkultur orientierte, entwickelte sich der Song aber völlig zu Recht zu einem der bis heute beliebtesten RADAU!-Hits und darf folglich auch in dieser Sammlung nicht fehlen. Ähnlich verhält es sich mit Liedern wie „Feuerwehr“ oder dem „Rittersong“. Der schräge Nonsens von „Engel“ wirkte aber schon damals etwas ungelenk und vermag auch in seiner Neuinterpretation nicht so recht zu überzeugen. (»Alle Frösche fliegen hoch. Nein, nein, nein, kein Frosch, kein Frosch fliegt hoch. / Aber Prinzen fliegen hoch. Nein, nein, nein, kein Prinz / Aber Engel fliegen hoch.«)

Jenseits dieses skurrilen Ausrutschers hält „So gut wie neu“ das Niveau aber konstant hoch. Ein Song wie „Kann ich schon“ bestach bereits vor 15 Jahren durch seine bestärkende Botschaft und unterstreicht im neuen, deutlich druckvolleren Sound seinen zeitlosen Charakter. (»Ich hab schon so viel geschafft und es wird mehr, immer mehr / und was ich noch nicht kann, lern’ ich irgendwann.«) Gleiches gilt für „Verboten“, ein Lied, das zu frühem Ungehorsam anregt und in seiner überarbeiteten Version eine absolut mitreißende Energie entfaltet. (»Was Spannenderes kann es doch kaum geben / wenn’s Dich nicht stört, benehm’ ich mich daneben.«) „Schlauberger“ wiederum legt sich mit nervigen Besserwissern an und plädiert für kindliche Selbstbestimmung, während „So viele Fragen“ das musikalische Korsett des rhythmisch angelegten RADAU!-Klassikers „Im Regenwald auf Borneo“ mit der sokratischen Weisheit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ausschmückt. All das sind Songs, die nicht nur großen Spaß machen, sondern die vor allem ohne Kompromisse die Perspektive der Zielgruppe einnehmen. Freundschaftlich stellen sie sich an die Seite der Kinder und repräsentieren den wahrscheinlich sympathischsten Charakterzug der Band, den RADAU! im letzten und ruhigsten Lied der Platte am eindeutigsten auf den Punkt bringen. Denn Kinder, die sich „Das Blaue vom Himmel“ wünschen, sehen die Welt noch voller Möglichkeiten und Chancen. Gerade in unruhigen Zeiten wie diesen, ist das wohl eine der schönsten Tugenden, die man in jungen Menschen anregen kann und sollte.

Fazit: Normalerweise liegt es in der Natur eines Best of-Albums, dass es nur wenig Anknüpfungspunkte bietet, um neue Ideen oder die künstlerische Weiterentwicklung einer Band zu würdigen. RADAU! haben sich für „So gut wie neu“ aber die Mühe gemacht, alle zehn Songs komplett neu einzuspielen und klanglich in die Gegenwart zu überführen. Das Ergebnis dieser Arbeit kann sich definitiv hören lassen. Die Qualität des Albums steht einer ausgefeilten Pop-Produktion in nichts nach und unterstreicht den Anspruch der Band, Kindermusik die gleiche Sorgfalt zuteil werden zu lassen, wie Musikangeboten für Erwachsene. Ansonsten widerstehen RADAU! aber der Versuchung, Eltern als Hörer*innen gleich mit umgarnen zu wollen. Mit ihren Texten fühlen sie sich ausschließlich den Anliegen von Kindern verpflichtet. Dass diese in fast allen Fällen heute noch genauso anschlussfähig sind wie schon vor Jahrzehnten, beweist, dass mit Sorgfalt komponierte Kinderlieder eine lange Halbwertzeit haben und in Würde altern können. In temporeicher und fast durchgehend lauter Gangart machen RADAU! ihrem Bandnamen alle Ehre und gönnen sich und ihren Hörer*innen nur wenig Verschnaufpausen. In der Summe präsentiert „So gut wie neu“ die respektable Lebensleistung einer Band, die die Kindermusiklandschaft über 25 Jahre entscheidend geprägt hat und dabei besser klingt als je zuvor.


Video




Erschienen bei


Che!Records

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 4/5


Bewertung der Leser*innen: 5/5


Künstler*in



Bandfoto RADAU!

Radau!

Ein Kommmentar



28.11.2023 17:25

Helgard Krüger



Das beste Radau Album ever. Es wird Kindern gerecht, greift Fragen unf Gedanken auf und verpackt Songs wie der Schlauberger ohne erhobenen Zeigefinger mit toller Musik. Der Sound ist prima, sehr aufgewertet.
Mich hat das neue Album absolut begeistert.

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