Albumcover "Unsere Stadt spricht alle Sprachen"
17.11.2023


Suli Puschban: „Unsere Stadt spricht alle Sprachen“



Wege entstehen durch Pfade



Es ist noch nicht allzu lange her, da legte Corona den Kulturbetrieb komplett lahm. Umso engagierter haben sich viele Kunst- und Kulturschaffende kurz darauf wieder reingehängt – auch Suli Puschban. Nach der Pandemie spielte sie so viele Konzerte wie noch nie und hat ihr musikalisches Netzwerk dabei offenbar deutlich erweitert. „Unsere Stadt spricht alle Sprachen“, das inzwischen fünfte Album der Berliner Kindermusikerin, räumt nicht weniger als 25 Gastsänger*innen einen Platz ein und ließe sich folglich als die musikalische Essenz aus ihren Post-Corona-Begegnungen bezeichnen. Erklärte Ziel dieses Gemeinschaftswerks scheint es zu sein, das Label Kindermusik neu zu definieren, ohne das Selbstverständnis als Kindermusikerin dabei komplett über Bord werfen zu müssen. Das Albumcover gibt diesbezüglich schonmal die Richtung vor. Die im Pop Art-Stil illustrierten knallroten Lippen erinnern mehr an die Rolling Stones als an eine Veröffentlichung für Kinder. Was also hat die Platte ihnen zu bieten?

Zum Einstieg gibt der Titelsong „Unsere Stadt spricht alle Sprachen“ die Visitenkarte des Albums ab, versteht er sich doch als Würdigung der kulturellen Vielfalt in Suli Puschbans Wahlheimat Berlin. (»Unsere Stadt spricht alle Sprachen, das ist kein Klischee / du kannst einmal um die Welt fahren mit der BVG.«) Es folgen 13 weitere Songs, von denen viele in Zusammenarbeit mit anderen Kindermusiker*innen entstanden sind und die folglich ein vielfältiges stilistisches Spektrum abdecken. Mit Jodeleinlagen ist „Rodelbahn“ (feat. Astrid Hauke) beispielsweise ziemlich volkstümlich angelegt, während „Bummtschiggewawa“ (feat. 3Berlin) mit dem Sound von Modern Talking überrascht – ein streitbarer Kunstgriff, den man nur angesichts der gelungenen Wortneuschöpfung, die dem euphorisierenden Gefühl kindlicher Selbstwirksamkeitserfahrungen stimmungsvoll Ausdruck verleiht, zu verzeihen bereit ist. Zu entspannten Elektrobeats und dem Klang einer Oud macht sich „Verkackt“ (feat. Sukini) Gedanken um das Wesen und die Wirkung von Entschuldigungen, wogegen es „Eine gute Frage“ (feat. Dota Kehr) gelingt, dem etwas überstrapazierten Kinderlied-Thema „Neugier“ eine philosophische Tiefe abzuringen, die regelrecht verzückt. (»Was machst du gerade und warum machst du das / und wenn du es machst, ändert das was?«) Zum wiederholten Mal liefert Dota Kehr damit einen überzeugenden Beweis für ihr besonderes Kinderlied-Kompositionstalent.

Neben diesen Songs finden sich jedoch auch zahlreiche Titel auf dem Album, die erstmal irritieren. „Pride“ (feat. Wallis Bird) zum Beispiel fällt nicht nur durch seinen englischen Text aus dem tradierten Definitionsrahmen für ein Kinderlied, sondern auch, weil der Song „explicit lyrics“ zitiert (»What the fuck is pride?«). Allzu verantwortungsbewusste Erwachsene könnten an dieser Stelle Protest anmelden, dabei versteht sich der Song doch einfach nur als Hommage an die Kraft der Liebe. Weitere englischsprachige Titel wie „Higher, further faster“ und „Magical times“ stützen den Eindruck, dass Suli Puschban mit diesem Album neue künstlerische Wege beschreiten möchte und dabei nicht nur Kinder als Zielgruppe adressiert. Als groovige Funk & Soul-Nummer bringt „Süchtig nach Musik“ (feat. Julia Martin Gamez) zum Beispiel eine Feststellung auf den Punkt, die für Musikliebhaber*innen aller Generationen Gültigkeit hat. Lyrisch fast überambitioniert wirkt dagegen die musikalische Fabel „Die Eule und der Rabe“, die Suli Puschban im Duett mit Konstantin Wecker vorträgt. Auch das orchestral arrangierte „Was ich an dir liebe“ (feat. Toni Geiling) sowie das abschließende „Nachtlied“ (feat. Peter Schindler) sind sprachlich komplex. Doch warum sollte man Kindern nicht auch mal etwas abstraktere Poesie zutrauen? Der Versuch, die Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenlied aufzuweichen, erfüllt sich hier jedenfalls kunstvoller als in so mancher Kindermusik-Produktion, die sich voreilig das Etikett Family-Entertainment anheftet. Einen seiner schönsten Höhepunkte findet das Album im gemeinsam mit Kiri Rakate vorgetragenen „Geht sich das aus“. Ob‘s an der wienerischen Sozialisation beider Musikerinnen liegt, dass hier alles stimmig zusammenzufließen scheint? Mitreißender als hier verbinden sich musikalische Verspieltheit, inhaltliche Tiefe, pragmatischer Realitätssinn und naive Weltsicht jedenfalls in keinem anderen Song des Albums.

Fazit: Suli Puschban ist längst eine feste und geschätzte Größe der Kindermusikszene. In vielen Jahren hat sie sich ein glaubwürdiges Standing und damit auch die Freiheit erarbeitet, sich künstlerisch kreativ austoben zu dürfen. Weniger etablierten Kindermusiker*innen würde ich ein Album wie „Unsere Stadt spricht alle Sprachen“ vermutlich nicht so einfach durchgehen lassen, denn streng genommen ist es einfach keine Platte für Kinder geworden. Doch Wege entstehen durch Pfade. Und Suli Puschban ist einfach schonmal vorgegangen. Angesichts ihres langjährigen Engagements als Kinderliedermacherin dürfen wir ihr unterstellen, dass sie auch bei dieser Produktion die Hörgewohnheiten, Erwartungshaltungen und Perspektiven von Kindern genau im Blick hat – und offenbar herausfordern möchte. Implizit stellt sie mit diesem Album einige Grundsatzfragen: Wo verläuft die Grenze zwischen Unter- und Überforderung? Welche Wortwahl ist kindgerecht? Und was verbindet Kinder und Erwachsene in ihrer Begeisterung für Musik? Nicht jeder Song hält eine schlüssige Antwort auf diese Fragen bereit. In seiner Gesamtheit ist das Album aber von viel künstlerischem Freigeist geprägt und macht junge wie ältere Hörer*innen mit der Wirkmächtigkeit von Musik vertraut. „Unsere Stadt spricht alle Sprachen“ ist also tatsächlich keine Kinderplatte im klassischen Sinne. Sie ist aber von der selbstbewussten Haltung, dem langjährigen Engagement, der musikalischen Experimentierfreude und nicht zuletzt der integrativen Kraft einer Künstlerin geprägt, die sich mit Leib und Seele als Kindermusikerin versteht. Am Ende geht sich das aus.


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Erschienen bei


Newtone

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto Suli Puschban und Die Kapelle der guten Hoffnung

Suli Puschban

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