Albumcover "Der Singende Bauernhof"
02.02.2024


„Willkommen auf dem singenden Bauernhof“



Kindermusik-Trash in a nutshell



Es gehört ohne Zweifel zu den Privilegien meiner Arbeit für „Mama lauter!“, ab und an mit aktuellen Kindermusik-Produktionen bemustert zu werden – meistens verbunden mit dem Wunsch, im Gegenzug auch eine wohlmeinende Rezension über eben diese zu verfassen. Ich freue mich sehr über dieses Vertrauen und den damit einhergehenden Zuspruch für das, was ich hier tue. Und ich wünschte, ich könnte allen Anfragen, die mich erreichen, auch gerecht werden. Leider kann ich das nicht, denn auch meine Ressourcen sind begrenzt. Deshalb schreibe ich in der Regel nur über die Kindermusik-Produktionen, die ich tatsächlich auch für empfehlenswert halte. Verrisse verfasse ich hingegen selten, denn auch die kosten Zeit und Mühe, helfen aber niemandem wirklich weiter.

Nun landete vor einigen Tagen aber das Album „Willkommen auf dem singenden Bauernhof“ aus dem Hause Sony Music auf meinem Schreibtisch und obwohl schon das Cover dieser Produktion eine gehörige Portion Skepsis hervorruft, habe ich mich auch diesem Werk mit größtmöglicher Offenheit zugewendet. Doch was soll ich sagen? Meine inzwischen recht gut geschulten Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Was die angeblich Kindermusik-begeisterte Schlagersängerin Sarah Schiffer mitsamt ihren Mitstreiter*innen hier abliefert, ist, um es auf den Punkt zu bringen, ziemlich unerträglich. Trotzdem widme ich mich dieser musikalischen Kuriosität mit einer ausführlichen Besprechung. Denn in elf Songs und gerade mal 25 Minuten Spielzeit gelingt es dieser Platte mit bemerkenswerter Konsequenz, so ziemlich alle Kindermusik-Klischees zu bedienen, die es (leider immer noch) gibt. Es ist aufschlussreich, sie einmal sorgfältig zu sezieren.

Die Blockflöte, die in den ersten vier Takten des Openers „Der singende Bauernhof“ erklingt, soll offensichtlich ironische Distanz zu eben jenen Klischees herstellen. Blöd nur, dass genau diese ironische Brechung längst selbst zum Klischee geworden ist. Ja, wir haben‘s kapiert: Kindermusik funktioniert auch ohne Blockflöte! Noch schöner wäre es allerdings, wenn sie auch ohne sinnentleerte Texte auskommen könnte. Zeilen wie »Es gibt so viel zu entdecken, jedes Tier ist hier ein Hit / und auch du bist hier willkommen, komm schon, alle singen mit« dürften bereits Kindern im KiTa-Alter zu den Ohren raushängen. Warum tut man ihnen derlei sprachliche Unterforderungen trotzdem immer wieder an? Noch bevor sich eine Antwort auf diese Frage finden ließe, galoppiert bereits „Boom Schacka Lacka / Das tanzende Alpaka“ durch den Gehörgang. Eindeutig handelt es sich hier um einen der Songs, der laut Pressetext „jedes Kinderzimmer kurzerhand in eine Scheunenparty verwandelt“. Bekanntlich ist ja genau das der Anspruch, den Kinder an Kindermusik formulieren. Gut, dass sich endlich jemand dafür verantwortlich fühlt.

Doch wer feiern kann, der kann auch arbeiten. »Hier ist immer was zu tun / keine Zeit sich auszuruhen« singt Gast-Sänger Tom Beck im „Treckersong“, zu dem es auch ein idyllisch inszeniertes Video gibt. Darin können Kinder ihm und Sarah Schiffer beim Tanzen in der Scheune zuschauen. Landwirtschaftliche Betriebsamkeit kommt dabei zwar nicht auf, aber im Kontext der jüngsten Bauernproteste könnte das Lied immerhin noch ungewollt politisches Potential entfalten. Im nächsten Song stellt sich Sängerin Sarah dann endlich auch persönlich vor. Dass „Sarah hat nen Bauernhof“ ein Cover des Traditionals „Old MacDonald had a farm“ ist, versteht sich dabei von selbst. Mit dem Rap-Song „Die Kopfnicker-Gang“ (feat. Mo-Torres) entzieht sich die Platte aber sogleich wieder dem Verdacht, die Zeichen der Zeit womöglich nicht erkannt zu haben. Musikalische Bezüge zu Hip Hop-Culture dürfen schließlich auf keiner modernen Kinderplatte fehlen und werden auch auf dem Bauernhof derbe abgefeiert. Einen plüschigen Sidekick braucht es natürlich auch, hier verkörpert vom Otter Otti Stubs, der mit dem „Otti Stubs Song“ ganze zwei Minuten Spielzeit eingeräumt bekommt. Dass wenig später auch noch der Kindermusik-Barde Detlev Jöcker als Gaststar die Bühne betritt, überrascht nach alldem irgendwie auch nicht mehr. Neben seinem absolut nervtötenden Evergreen „1,2,3 im Sauseschritt“ wurde für diese Platte auch sein Weihnachtslied „Kannst du die Lichter sehen“ Bauernhof-konform aufpoliert. (»Auf dem Bauernhof, da ist was los / die Freude ist schon riesengroß.«) Winterliche Besinnlichkeit: Check! Abgerundet wird dieses überaus vielseitige Kindermusik-Potpourri schließlich noch vom „Bauernhof-Stopptanz“. Sowas hat die Welt noch nicht gesehen, geschweige denn gehört – und genau deshalb gibt’s den Song zum Ende auch ein zweites Mal in der Halloween-Edition. Für diesen musikalischen Doppelwumms hätte Sankt Martin wahrscheinlich auch noch die andere Hälfte seines Umhangs hergegeben. So also klingt eine „unverkennbare Mischung aus zeitgemäßen und kindgerechten Songs, die das Album zu einem Must-Have im Kinderzimmer macht“ (abermals Zitat Pressetext)? Ich melde Zweifel an!

Fazit: Es ist auf verstörende Weise beeindruckend, wie „Willkommen auf dem singenden Bauernhof“ nahezu alle Kindermusik-Klischees aneinanderreiht und selbstbewusst zelebriert. Wer verstehen will, wie es passieren konnte, dass sich diese Gattung innerhalb mehrerer Jahrzehnte einen so schlechten Ruf eingehandelt hat, der findet auf diesem Album viele schlüssige Erklärungen dafür. Es bietet Kindermusik-Trash in a nutshell. Viele der Künstler*innen, die ihr bei „Mama lauter!“ finden könnt, zeigen zwar, dass die zahlreichen Vorurteile über Kindermusik längst keine Gültigkeit mehr haben. Die hier besprochene Produktion gehört aber definitiv nicht dazu. Als eine Art Bauernhof-Kindermusical lässt sie jeglichen Willen zu künstlerischer Eigenständigkeit, inhaltlichem Anspruch oder musikalischer Innovation vermissen. Und zwar nicht aus Unwissenheit oder Unvermögen, sondern aus geschäftigem Kalkül. Tatsache ist nämlich auch, dass sich ein Song wie „Das tanzende Alpaka“ überraschend großer Beliebtheit erfreut. Auf immerhin zwei Millionen Streams kommt das Lied bei Spotify. Das muss man erstmal hinkriegen und neidlos zur Kenntnis nehmen. Offen bleibt dabei allerdings, ob dieser Erfolg tatsächlich die Musikvorlieben von Kindern, oder nicht vielmehr die ihrer Eltern dokumentiert. Das Major-Label Sony Music tritt mit dieser Veröffentlichung jedenfalls einmal mehr den Beweis an, dass es sich für die dunkle Seite der Kindermusik entschieden hat. Mir werden manche Menschen dank dieser Rezension dagegen einmal mehr die Deutungshoheit über gute Kindermusik absprechen. Die habe ich allerdings auch nie für mich in Anspruch genommen. Wie alle meine Besprechungen, ist auch dieser Text lediglich ein Angebot, sich (selbst)kritisch mit Kindermusik zu beschäftigen. Klar ist mein Urteil dabei subjektiv eingefärbt. Es ist aber immer fair. Hätte Sarah Schiffer es nicht versäumt, ein Schlaflied auf der Platte unterzubringen, dann wären ihr zwei von fünf Lautsprechern auf jeden Fall sicher gewesen.


Video




Erschienen bei


Europa/Sony Music

Veröffentlicht


2024

Bewertung der Redaktion: 1/5


Bewertung der Leser*innen: 5/5


2 Kommentare



03.02.2024 12:26

Tanzendes Alpaka



Dieser Artikel ist keine Rezension, sondern eine Selbstbeweihräucherung des Autors, besonders in den letzten Zeilen. Sie sollten sich schämen, so die Arbeit eines Künstler:innen-Kollektivs zu diskreditieren.

Vielleicht ist es an der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen?

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19.03.2024 09:49

Lahmendes Lama



Persönlich betroffen? Ich finde die Kritik sehr sachlich und gut begründet und amüsant geschrieben, danke dafür!

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