Albumcover "Wohnzimmerabenteuer"
17.12.2021


Kiri Rakete: „Wohnzimmerabenteuer“



Frühkindliche musikalische Entdeckungsreise



Obwohl Kiri Rakete schon seit einigen Jahren als Kindermusikerin unterwegs ist, gehört sie noch zu den Geheimtipps der Szene. Schon 2016 legte die Wiener Musikerin mit „Raketenstart“ ein ziemlich schnörkelloses Debutalbum vor – und seitdem hat sie die Begeisterung für Kinderlieder nicht mehr losgelassen. Schnell folgten eine EP und ein weiteres Album, nun hat Kiri Rakete die unheilvolle Zeit der „Corontäne“ genutzt, um ihre „Liederskelette der vergangenen zehn Jahre auf Vorderfrau“ zu bringen. Im Ergebnis dieser Renovierungsarbeiten ist „Wohnzimmerabenteuer“ entstanden. Den Titel dürfen wir wohl als euphemistische Umschreibung für die zähe Zeit verstehen, die wir während der Pandemie zu Hause verbringen mussten. Gerade für Musiker*innen war (und ist!) diese Phase eine quälende weil auch existentielle Herausforderung. Müssen Eltern und Kinder also befürchten, dass der Lockdown-Blues heimlicher Co-Produzent der 14 Lieder auf dieser Platte war?

Um gleich Entwarnung zu geben: Mitnichten! Wie schon die vorangegangenen Produktionen von Kiri Rakete verströmt auch „Wohnzimmerabenteuer“ eine Grundstimmung, die von unbändiger Freude, ansteckender Euphorie und einer grundoptimistischen Haltung geprägt ist. Erstaunlicherweise braucht die Musikerin zur Umsetzung dieser Atmosphäre gar nicht viel. Klanglich stehen bei allen Liedern der Sound einer Akustikgitarre und die leicht angeraute Stimmte von Kiri Rakete im Mittelpunkt, sorgsam angereichert um den ein oder anderen Klavierakkord und orffsches Instrumentarium. Anders gesagt: musikpädagogisch schimmert hier solides Handwerk durch, das auf die unvoreingenommenen Hörgewohnheiten junger Kinder abgestimmt ist. Die wahre Qualität des Albums offenbart sich aber erst im Zusammenspiel aus Musik, Text und Vortrag. Denn Kiri Rakete findet einen sehr eigenwilligen und meist mitreißenden Stil, um auch den banalsten Themen bedeutungsvolle Tiefe einzuhauchen.

Das zeigt sich schon im ersten Lied „Baustelle“, das die kindliche Faszination für Bagger, Kräne oder Lastwagen aufgreift und aus simplen Alltagsbeobachtungen Musik macht. (»Schieb, schieb / schraub, schraub / Schaufel, Schaufel, heb.«) Gleiches gilt für „Sand“, eine humorvoll getextete A-Capella-Nummer über die Schattenseiten des Spiels im Sandkasten. (»Sand im Bett krieg ich niemals weg / Sand in Broten g’hört verboten.«) „Kleine Feder, großes Feuer“ setzt auf andere Weise besondere Maßstäbe. Auf den ersten Eindruck bedient das Lied ein völlig überstrapaziertes Klischee, denn Songs über die indigene Bevölkerung Nordamerikas gehören zum festen Repertoire fast jeder angestaubten Kindermusik-Platte. Geschickt vermeidet Kiri Rakete hier aber die Reproduktion kritisch diskutierter Fremdzuschreibungen, ohne dabei das Narrativ von Naturverbundenheit aus dem Blick zu verlieren. So sind Kinderlieder getextet, die sich dem Zeitgeist verpflichtet fühlen, ohne sich von ihm einengen zu lassen! Auch der Titel „Regenbogenfarben“ lässt zunächst nicht auf eine revolutionäre Textidee schließen, findet dann aber doch schön-schräge Bilder für die bunte Vielfalt des Lebens. (»Grün wie das Moos oder der Frosch, den du nicht küsst / rosa wie die Zahnpasta, die du manchmal isst.«) In seiner Kombination aus eingängiger Struktur und überzeugtem Vortrag könnte man dieses Lied als eines der musikalischen Aushängeschilder des Albums bezeichnen. Das tänzerische „Montessaurier“ wiederum ist eine musikalische Würdigung des Lebenswerks von Maria Montessori. »Auitami a fare da solo« singt Kiri Rakete und bringt damit das Grundkonzept der bekannten Reformpädagogin auf den Punkt: Hilf mir, es selbst zu tun! Trotz dieser gewichtigen Botschaft kommt das Lied locker und unbeschwert daher und regt Kinder so nicht nur zum fröhlichen Mitsingen, sondern auch zum selbstbestimmten Handeln an. Im vorletzten Lied „Aus die Maus“ kommt dann schließlich auch etwas erwachsene Melancholie zum Vorschein, die Kiri Rakete aber geschickt mit einer kindlichen Perspektive zusammenführt: »Ich geh alleine durch den Zoo / die Freiheit hat hier kein Niveau. (...) Aus die Maus, leer der Bär / manchmal ist das Leben schwer«, singt sie. In solchen Zeilen zeigt sich die besondere Handschrift der Musikerin.

Zwischen diesen Highlights finden sich weitere Songperlen, die eine große stilistische Bandbreite zum Vorschein bringen. Doch es findet sich auch die ein oder andere Skurrilität, die sich deutlich schwerer in das Gesamtwerk einordnen lässt. „Mami fährt nach Peking“ beispielsweise beschränkt sich auf recht sinnbefreite Reime und versucht sich dabei an der Imitation fernöstlicher Klänge. Das kurze „Igel gefunden“ appelliert an den Tierfreund in uns, irritiert am Ende aber mit einer einigermaßen absurden Wendung. Und wenn Kiri Rakete in „My baby went to Cuba“ über Liebeskummer sinniert, scheint sie ihre Rolle als Kindermusikerin kurzzeitig komplett zu vergessen. (»My baby went to Cuba, like a scuba duba duba-diver / dancing with the groove like mangrooves in the sea.«) Diese Beispiele sind aber keine ausgewiesenen Schwachstellen des Albums, sondern bilden eher eine weitere Facette des originellen Spektrums ab, das die Musikerin auf „Wohnzimmerabenteuer“ selbstbewusst präsentiert. Etwas fraglich bleibt am Ende eigentlich nur, warum Kinderstimmen jedes einzelne Lied kommentieren bzw. anmoderieren? Was offensichtlich als roter Faden angelegt ist, wirkt vergleichsweise bemüht und vermag der Platte keinen besonderen Mehrwert zu geben.

Fazit: Mit Kiri Rakete wird die Kindermusikwelt um eine eigenwillige Künstlerin bereichert. Es bedarf schon einer besonderen Gabe und Grundverfasstheit, sich den musikalischen Bedürfnissen von jüngeren Kindern verpflichtet zu fühlen und dabei so unerschrocken und glaubwürdig aufzuspielen. Primäre Inspirationsquelle ist für die Musikerin ihre Nähe zur kindlichen Erlebniswelt. Das hört man ihren Liedern an, die von einer Mischung aus Phantasie, Eigensinn und fröhlicher Unbekümmertheit gekennzeichnet sind. Kompositorisch warten die Songs zwar selten mit überraschenden Wendungen auf, unterstreichen damit aber umso konsequenter ihr Bekenntnis zur jungen Zielgruppe. Die musikalische Arbeit von Kiri Rakete ist durchzogen von einer klaren pädagogischen Haltung, verzichtet aber darauf, pädagogischen Anspruch vermitteln zu wollen. Die Freude am Musizieren mit Kindern und für Kinder steht bei ihr im Mittelpunkt. Bei all dem bringt sie genau das mit, woran es so vielen anderen Kindermusiker*innen mangelt: künstlerische Überzeugungskraft. „Wohnzimmerabenteuer“ ist der vorläufige Höhepunkt einer stringenten Weiterentwicklung, das Ergebnis hartnäckiger Arbeit und wohl auch kritischer Selbstreflexion. Genau diese Zutaten machen das Salz in einer sonst oft faden Kindermusik-Suppe aus. Mag sein, dass nicht jeder Song eine Offenbarung ist. Insgesamt ist dieses Album von Kiri Rakete aber ein äußerst gelungener Begleiter auf der frühkindlichen Entdeckungsreise zu eigenen musikalischen Vorlieben – eben ein kleines Wohnzimmerabenteuer. Um es mit ihren Worten auf den Punkt zu bringen: Pädagogisch wertvoll, aber unverstaubt!


Video




Erschienen bei


recordJet

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Porträt Kiri Rakete

Kiri Rakete

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft