29.10.2021


Matthäus Bär: „Best of Bär“



Jedem Ende wohnt ein Anfang inne



Für gewöhnlich werden hier ja Alben von Kindermusiker*innen vorgestellt, die als solche noch etwas werden wollen. Diesmal ist das anders. Der Österreicher Matthäus Bär hat sich nämlich schon längst einen Namen in der Kindermusik-Szene gemacht, wendet ihr nun aber trotzdem den Rücken zu. Das ist in dieser Gattung schon ein relativ einzigartiger Vorgang, denn obwohl Kindermusiker*innen sich naturgemäß immer weiter von der Lebenswelt ihrer Zielgruppe entfernen, denken sie in aller Regel nicht ans Aufhören. Matthäus Bär hat offenbar nicht nur darüber nachgedacht, sondern letztlich auch eine klare Entscheidung getroffen. Sicher wird seine über Jahre stetig gewachsene Fangemeinde daran zu knabbern haben, dass er seine Rolle als Rockstar für Kinder nun mit Ansage an den Nagel hängt. Um den Abschiedsschmerz zu lindern, macht er seinen Fans (und vermutlich auch sich selbst) vorher noch ein klingendes Abschiedsgeschenk und zieht nach acht Jahren, drei Alben, einer EP und vielen Konzerten mit „Best of Bär“ musikalisch Bilanz.

Dass Matthäus Bär einen eigenwilligen Stil pflegt, ahnt man bereits beim Anblick des Albumcovers. Die Hände locker auf eine E-Gitarre gestützt, posiert er verkrampft grinsend, barfuß vor steril weißem Hintergrund. Zu seinen Füßen eine Katze, die nur Augen für sein Instrument hat. Schon mit diesem Bild bietet „Best of Bär“ Raum für freie Interpretationen. Kaum anders verhält es sich mit der Musik auf diesem Album. Nach einem kurzen Intro, mit dem Matthäus Bär seine Zuhörer*innen in sedierend-meditativem Ton auf die bevorstehende knappe halbe Stunde einschwört, folgt „Rockbär“, der Opener seines 2013 erschienenen Albums „Stromgitarre, Schlagzeug, Bass“. Mit leicht abgewandeltem Text macht der Song mit dem Konzept der Platte vertraut: »Streicher, Orgel, Bläserwerk, gehen unter die Haut wie ein Laserschwert / Orchesterstück mit Rock’n’Roll finden auch Großeltern toll«, heißt es dort. Matthäus Bär hat das bewährte Instrumentarium also um Streicher, Bläser und Vintage-Synthesizer ergänzt, was die insgesamt elf Songs in gänzlich neuem Licht erstrahlen lässt. Zugleich ist damit auch die Absicht formuliert, generationenübergreifend Resonanz erzeugen zu wollen.

Mit dieser Herangehensweise setzt er einen Stil fort, den er als Kindermusiker von Beginn an forciert und ziemlich konsequent umgesetzt hat. Mit jedem Album hat er sich nämlich einem anderen musikalischen Genre verschrieben und ließ die Zuhörer*innen so in einen immer wieder neuen Kosmos eintauchen – von Rock über Chanson bis hin zu Synthie-Pop. Nun folgt also die orchestral angehauchte Werkschau, die zum Genuss von Kinderliedern der besonderen Art einlädt. Denn hier ist jeder Song ein kleines Kunstwerk. „Nachtaktiv“ zum Beispiel ist hinsichtlich des zugrunde liegenden Themas zwar ein recht klassisch geratenes Kinderlied. Textlich steht es aber exemplarisch für die schillernde Sprache, die das Schaffen von Matthäus Bär seit jeher auszeichnet. (»Voller Energie zieh ich mir die Nacht heut rein / mir gehört der Augenblick der Finsternis allein.«) Das bestechend kurze „Beschimpfungslied“ besteht aus einer endlosen Aneinanderreihung vergleichsweise harmloser und dennoch offenkundiger Beschimpfungen, endet aber schließlich doch versöhnlich mit den Worten: »Du lebst auf einem völlig anderem Stern / doch irgendwie hab ich dich gern.«Leichtes Lied“ versteht sich als Energizer für trübe Tage. (»Wenn du voll verzweifelt bist und alles Schöne scheiße ist / dann hoffe ich du hast die Kraft, die alles Schwere leichter macht.«) Und im vergleichsweise rockig umgesetzten „Schlecht gelaunt“ führt Bär sogar gendersensible Sprache ins Kinderlied ein. (»Ich hasse meine Brüder, meine Mütter, meine Väter / alle sind sie Übeltäter*innen.«)

Das letztgenannte Lied ist einer von zwei neuen Songs auf „Best of Bär“. Während „Schlecht gelaunt“ aber noch unmissverständliche Bezüge zur Lebenswelt von Kindern herstellt, blickt „Spielplatz“ deutlich verklausulierter auf das Leben als Ganzes. (»Du klopfst auf Holz, ich schreib’s auf Stein, wir werden Königinnen sein / ich spring zu dir in einem Satz und unser Leben ist ein Spielplatz.«) Eindeutig werden die Kinder, an die sich die Lieder richten bzw. über die hier gesungen wird, im Verlauf der Platte älter, bis sie in „Kaffee und Bier“ schließlich sogar zu den Rauschmitteln ihrer Eltern greifen. In seiner Gesamtheit spannt „Best of Bär“ also nicht nur einen musikalisch bedeutsamen Bogen über das künstlerische Schaffen von Matthäus Bär, sondern erfasst auch das Aufwachsen als einen Prozess, in dem das kindliche und das erwachsene Ich immer mehr miteinander ringen. Gerade weil das Album die üblichen Klischees des Family-Entertainments dabei weiträumig umschifft, funktioniert es tatsächlich bestens als musikalischer Begleiter für die ganze Familie.

Fazit: Popkulturell hat uns unser Nachbarland in den letzten Jahren reich beschenkt. Mit Bands wie Wanda, Bilderbuch oder Der Nino aus Wien sind nur drei prominentere Acts aus Österreich benannt – und es ist mehr als angebracht, Matthäus Bär in einem Atemzug mit diesen Namen zu nennen. Sein Mix aus Wiener Schmäh, sanfter Melancholie und musikalischer Experimentierfreude ist wahrlich kunstvoll und in der Gattung Kindermusik ziemlich konkurrenzlos. Dieses Best of-Album setzt dabei nochmal besondere Maßstäbe, denn es ist von einer bestechenden Komplexität gekennzeichnet, die zum genauen Hinhören einlädt und Haltung einfordert. Die Lieder von Matthäus Bär beschränken sich nicht darauf die Welt zu beschreiben, sondern eröffnen geradezu neue Welten. Auf diese Weise tragen sie gekonnt zur Geschmacksbildung von Kindern bei. Umso bedauerlicher ist es, dass mit „Best of Bär“ nun das Ende seiner Karriere als Kindermusiker eingeleitet ist. Zum Glück wohnt jedem Ende aber auch ein Anfang inne. Zukünftig wird sich Matthäus Bär unter anderem der Kinderliteratur widmen. Seine Motivation für diesen Wandel? Natürlich sei ein Buch in gewissem Sinn mehr Arbeit als ein Song, verrät er in einem Interview. „Aber dafür brauche ich keine Band, kein Equipment und muss vor allem keine Konzertveranstalter überzeugen.“ In dem Statement schwingen etwas Frust und Ermüdung mit. Wie schade, dass die Arbeit eines so talentierten Musikers zumindest zum Teil auch an strukturellen Ursachen zu scheitern scheint. Matthäus Bär ist (oder war) der beste Beweis dafür, dass es jede Anstrengung wert ist, gute Kindermusik zu fördern, wertzuschätzen und ihr wo immer es geht eine Bühne zu bieten. Dass dieses letzte Album überhaupt entstehen konnte, ist aber keiner Förderung oder Plattenfirma, sondern vor allem seinen treuen Fans zu verdanken, die das Crowdfunding für „Best of Bär“ mit über 10.000 Euro unterstützt haben. Schön, dass solche Wege funktionieren. Doch machen wir uns nichts vor: Derlei Aktionen mögen hilfreich sein um ein individuelles Etappenziel zu erreichen, haben aber keinen nennenswerten Einfluss auf strukturelle Schwächen. In diesem Sinne kann man Matthäus Bär nur alles Gute und viel Erfolg für seinen jetzt eingeschlagenen, neuen Weg wünschen. Und sich schonmal auf sein erstes Kinderbuch freuen.


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Erschienen bei


Phonotron

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 5/5


Künstler*in



Pressefoto Matthäus Bär

Matthäus Bär

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