01.06.2021


„42 starke Kinderlieder für eine bessere Welt“



Visitenkarte der unabhängigen Kindermusik-Szene



Gemeinhin wird dem Kinderlied ja unterstellt, dass es inhaltlich wenig mitzuteilen hätte. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass es meist nicht über plumpe Animationslyrik hinaus kommt. Vornehmlich gilt es, das hüpfende, tanzende oder springende Kind in Bewegung zu halten, beliebt ist aber auch die Verknüpfung von (musik-) pädagogischem Anspruch und musikalischem Eifer. Ein paar wenige Bands halten zwar seit einigen Jahren tapfer dagegen, gelten aber als die Ausnahme von der sich anscheinend immer wieder bestätigenden Regel. So weit, so falsch!

Tatsächlich gibt es hierzulande nämlich schon seit vielen Jahren eine sehr lebendige Kindermusik-Szene. Bereits 1998 gründeten einige Kindermusiker*innen das Netzwerk kindermusik.de, das sich damals als künstlerischer Gegenentwurf zu den wenigen kommerziell erfolgreichen Stars der Szene, wie etwa Detlev Jöcker, Volker Rosin oder Rolf Zuckowski verstand. Rund 50 Interpret*innen und Bands haben sich seitdem unter dem gemeinsamen Dach zusammengefunden. Allen gemeinsam ist u.a. der Anspruch, Kinder mit qualitativ hochwertiger Musik stark machen zu wollen. Was liegt also näher, als diese musikalische Zielformulierung auf einer gemeinsamen Compilation zu bündeln?

Schon der Titel „42 starke Kinderlieder für eine bessere Welt“ weckt ziemlich große Erwartungen, denn er formuliert praktisch die Antithese zum eingangs beschriebenen Vorurteil über Kindermusik. Sollte es also tatsächlich Kinderlieder geben, die so etwas wie einen gesellschaftspolitischen Anspruch formulieren? In Teilen vermag die Compilation diese Vermutung durchaus zu bestätigen, insgesamt liefert sie allerdings alles andere als eine lückenlose Beweiskette. Mühelos ließen sich etliche konkrete Beispiele für musikalisch wie inhaltlich grenzwertige Ausreißer benennen, doch darum soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Das schwankende Niveau ist nämlich nicht die exklusive Schwachstelle dieser Liedsammlung, sondern die des Netzwerks kindermusik.de insgesamt. Über viele Jahre hinweg war die Mitgliedschaft nur ausgesuchten Künstler*innen vorbehalten. Der Verbund glich einem geschlossenen System, musikalischer Anspruch wurde der Qualität der persönlichen Beziehung untergeordnet. So fand sich ein bunter Haufen Musiker*innen zusammen, die sich zwar mögen, die es aber versäumt haben, ein gemeinsames künstlerisches Selbstverständnis zu entwickeln. Von Clownerie und Folklore, über Weltmusik und Schlager, bis hin zu gestandenen Rock- und Pop-Formationen ist praktisch alles dabei. Diese Vielfalt mag zwischenmenschlich bereichern, sie stand der künstlerischen Überzeugungskraft des Netzwerks insgesamt aber lange Zeit im Weg.

Hinzu kommt die nicht immer gelungene Umsetzung des im Titel formulierten inhaltlichen Anspruchs. Die 42 Kinderlieder für eine bessere Welt handeln von sauberer Umwelt, sauberem Wasser und sauberer Energie. Sie handeln von Mobbing und Inklusion und rufen zu einem friedlichen Miteinander auf. Das sind durchweg relevante Themen, die ganz sicher auch Kinder betreffen und interessieren. Das Kinderlied mit politischem Anspruch stellt innerhalb der Gattung Kindermusik aber quasi die Königsdisziplin dar – und die wird leider nicht von allen Künstler*innen beherrscht. Zu unbedacht wird bisweilen mit Zuschreibungen wie „fremd“ oder „anders“ hantiert und dabei übersehen, dass die Betonung von Vielfalt, gerade von Kindern aus Familien mit internationaler Geschichte, häufig als Ausgrenzung oder Diskriminierung erlebt wird. Andere Lieder, die Aspekte wie Umwelt- oder Klimaschutz aufgreifen, verleiten hingegen zum wohlgemeinten Appell, dem hinlänglich bekannten pädagogischen Zeigefinger. Mit der Idee, das politische Kinderlied als den einzigen erkennbaren roten Faden durch eine mit 42 Songs randvolle Compilation zu spinnen, wirkt die Produktion qualitativ wie quantitativ deutlich überfrachtet.

Fazit: „42 Kinderlieder für eine bessere Welt“ vermengt mindestens zwei Anliegen. Da sind zum einen die Lieder selbst, die grundverschiedene Anregungen für ein respektvolles Miteinander und für einen verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt formulieren. Hinzu kommt das erkennbare Bemühen des Netzwerks kindermusik.de, als gewichtige Instanz der deutschen Kindermusik-Szene wahr- und ernstgenommen werden zu wollen. Beide Anliegen haben ihre Berechtigung, berauben sich in direkter Kombination aber ihrer Wirkmächtigkeit. Denn die Songs adressieren nicht nur Kinder ganz unterschiedlicher Altersgruppen, sondern schwanken auch in der Qualität ihrer musikalischen Umsetzung und wirken im geballten Zusammenspiel inhaltlich beinah überfordernd. Die Produktion illustriert zwar die Anliegen des Netzwerks, verliert als künstlerisches Werk aber die Ansprüche der Kinder aus dem Blick. Unbedarfte Hörer*innen und Eltern werden sich überdies fragen, warum die allermeisten der derzeit bekannten Kindermusiker*innen gar nicht auf der Compilation vertreten sind? Die Antwort: Weil sie (noch) nicht zum Netzwerk gehören. Glücklicherweise wurden die strikten Zulassungsbeschränkungen inzwischen aber aufgehoben. Kindermusik.de ist jetzt ein offizieller Verein und steht somit allen Künstler*innen offen, die sich als professionelle Kindermusiker*innen verstehen. Ihnen allen ist nun also die Chance zu aktiver Teilhabe und konkreter Mitbestimmung gegeben. Das weckt berechtigte Hoffnungen auf eine längst überfällige, substantielle Weiterentwicklung der Kindermusik-Szene. Zumindest das ist doch ein guter Beitrag für eine bessere Welt.


Video




Erschienen bei


Newtone

Veröffentlicht


2019

Bewertung der Redaktion: 2/5


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