Albumcover "A colorful world"
12.08.2022


„Falu: A colorful world“



Ausgezeichnete Kindermusik



Sinn und Zweck von Musikpreisen werden in der Kindermusik-Szene gerne in Frage gestellt. Einerseits freuen sich Musiker*innen natürlich über die Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit, andererseits stellen sich nach einer Auszeichnung aber nur selten nachhaltige Effekte für sie ein. Schon von der Existenz entsprechender Wettbewerbe nehmen die allermeisten Menschen leider kaum Notiz. Oder ist Ihnen irgendein Kindermusikpreis bekannt? Vermutlich nicht. Tatsächlich gibt es in Deutschland aber gleich mehrere davon – wie zum Beispiel das Weberlein, den Deutschen Kinderliederpreis oder auch den Leopold. So unterschiedlich diese Auszeichnungen im Detail auch sind: Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich ausschließlich auf Kindermusik fokussieren – und unter anderem genau deshalb unterhalb des Radars der breiten Öffentlichkeit laufen.

Was hat diese Beobachtung nun mit dem hier vorgestellten Album zu tun? Ganz einfach: Auch „A colorful world“ von der in den USA lebenden und aus Indien stammenden Musikerin Falguni Shah aka Falu zählt zu den Kindermusik-Produktionen, die mit einem Preis gewürdigt wurden. Allerdings nicht mit irgendeiner kaum beachteten Trophäe, sondern mit dem Grammy-Award, der als der bekannteste und zweifellos relevanteste Musikpreis der Welt gilt. Seit die Auszeichnung 1959 von der Recording Academy in Los Angeles ins Leben gerufen wurde, berücksichtigt sie auch Kindermusik-Produktionen. Und obwohl die Kategorie „Best children‘s album“ unter insgesamt 84 Kategorien kaum ins Gewicht zu fallen scheint, ist die Anerkennung von Kindermusik in diesem prominenten Umfeld doch ziemlich bemerkenswert.

Nicht weniger bemerkenswert ist allerdings auch das künstlerische Niveau von „A colorful world“. Man sollte doch annehmen, dass ein mit dem Grammy geadeltes Album von ganz besonderer Güte ist. Tatsächlich ist aber eher das Gegenteil der Fall. Für gewöhnlich vermengt Falu traditionelle indische Musikstile mit modernen Einflüssen US-amerikanischer Popkultur – ein Mix, der ihren künstlerischen Markenkern definiert und der ihr in ihren Kompositionen für Erwachsene sowie auf ihrem ersten (bereits 2018 für den Grammy nominierten) Kindermusik-Album „Falu’s Bazaar“ auch durchaus überzeugend gelingt. Ausgerechnet auf dieser preisgekrönten Platte scheint sie sich aber konsequent davon zu distanzieren und engt ihren musikalischen Spielraum stattdessen auf bewährte Kindermusik-Klischees ein.

Laut Falu liegt „A colorful world“ der Anspruch zugrunde, Kindern den Wert kultureller Vielfalt vermitteln zu wollen: „I just wanted to write songs that bring unity, acceptance and tolerance to kids at a very early age – so that when they are different, they´re not fearful of each other but they embrace each other.“ Eine löbliche Zielformulierung, die Falu jedoch überraschend unambitioniert in Worte und Klänge überführt. Schon der Opener „Happy“ lässt nichts Gutes erahnen, weckt er doch fragwürdige Assoziationen zum Sound übereifrig aufspielender Alleinunterhalter*innen, der sich wie ein roter Faden durch das ganze Album zieht. Auch inhaltlich kommt der Song mit seiner Hookline »Let’s clap/wiggle/laugh... if you’re happy« nicht über das Niveau simpelster Animationslyrik hinaus. Titel wie „Visit the farm“ oder „The elephants stomp“ folgen dieser traditionellen Kinderlied-Rezeptur und fallen so ebenfalls weit hinter den oben zitierten Anspruch zurück. Es ist wohl eher ein Song wie „Crayons are wonderful“, der so etwas wie eine Botschaft transportieren soll. Das Loblied auf den schöpferischen Charakter von Buntstiften wartet allerdings mit ähnlich plumpen Erkenntnissen auf. (»Crayons are wonderful, they come in every color / they let us paint the world for you and me.«) Natürlich wird in diesem Zusammenhang auch der Regenbogen als Sinnbild herangezogen. Und ja: Auch „Rainbow“ erweist sich in der Kombination aus lyrischen Plattitüden und antiquierten Sounds als erschreckend einfältig. (»Colour me baby, I am a rainbow, can’t you see / I am a rainbow, you are a rainbow / we are a rainbow you and me.«) Wen wundert es da noch, dass das Album (nach nur acht Songs!) dann auch noch klassisch mit dem Schlaflied „Lullaby for Nishaad“ endet? Unterm Strich bleibt der Eindruck hängen, dass bei dieser Produktion an so ziemlich allem gespart wurde, was Kindermusik besonders machen kann: Inhaltlicher Anspruch, authentische Instrumentierung, künstlerische Ambition, empathische Annäherung an die Zielgruppe – von alldem bietet dieses Werk zu wenig. Damit ist „A colorful world“ sicher nicht das schlechteste Kindermusikalbum aller Zeiten. Ziemlich verwundert frage ich mich allerdings schon, warum die Entscheidungsträger*innen beim Grammy-Award ausgerechnet diese Platte zum „best children’s album“ des Jahres 2022 gekürt haben.

Fazit: Eigentlich lässt sich schon beim Anblick des Covers erahnen, dass sich hinter „A colorful world“ ein dubioses Gesamtkunstwerk verbirgt. Für das Artwork haben sich die Macher*innen anscheinend genauso wenig Mühe gegeben, wie für das Album insgesamt. „Erzähl mir was Neues“, wird die unbedarfte Leserschaft an dieser Stelle einwenden. „Für genau dieses Niveau ist Kindermusik doch hinlänglich bekannt!“ Zumindest auf die deutschsprachige Kindermusik-Szene trifft diese weitverbreitete Annahme allerdings schon lange nicht mehr pauschal zu. Und auch in den USA gibt es deutlich talentiertere Kindermusiker*innen – das beweist allein schon die Nominierungsliste des Grammy-Award 2022. Dass am Ende trotzdem die Produktion von Falu ausgezeichnet wurde, lässt eigentlich nur zwei Rückschlüsse zu: Entweder mangelte es der zuständigen Jury an Szene-Kenntnis, oder die Preisentscheidung folgte anderen als nur musikalischen Kriterien. Festzuhalten bleibt: Wenn diese Platte den internationalen Maßstab für gute Kindermusik definiert, dann muss sich die neue Generation von Kindermusiker*innen hierzulande nicht verstecken. Angesichts der oft beschriebenen popkulturellen Einbahnstraße zwischen den USA und Europa, ist das doch mal eine wirklich spannende Umkehrung der bestehenden Verhältnisse.

Fehlt zum Happy-End eigentlich nur noch eine ähnlich relevante Plattform für gute Kindermusik in Deutschland, wie sie der Grammy Award in den USA bietet. Doch diesbezüglich sieht es bei uns leider schlecht aus. Der Echo, der lange Zeit als der bedeutendste Musikpreis Deutschlands galt, hat sich nach vielen Kontroversen und Skandalen 2018 selbst abgeschafft. Musikproduktionen für Kinder wurden dort aber ohnehin nie gewürdigt. Beim International Music Award (IMA), der sich 2019 großspurig als die bessere Version des Echo in Stellung brachte, herrscht nach nur einer Verleihung schon wieder Totenstille. Der Musikautorenpreis der GEMA wiederum würdigt zwar vereinzelt Kindermusiker*innen (so wie zuletzt 2019 Suli Puschban), hält es aber nicht für nötig, eine feste Preiskategorie für diese Gattung zu etablieren. Wo also kann deutschsprachige Kindermusik ein öffentlichkeitswirksames Forum finden? Bis es hierzulande einen anerkannten Musikpreis gibt, der auch Musik für Kinder als ein künstlerisch relevantes Feld berücksichtigt, bleiben vorerst nur die eingangs benannten Kindermusik-Wettbewerbe. Natürlich leisten auch sie bereits gute und wichtige Arbeit, doch leider verfügen sie nicht über die Reichweite ihrer großen Vorbilder. Eben die braucht es aber um mehr Menschen zu erreichen und so letztlich auch die gängigen Stereotypen und Vorurteile über Musikangebote für Kinder zu überwinden. Denn auch darin bestehen Sinn und Zweck von Musikpreisen. Sie geben Anlass zur Kommunikation und schaffen genau die Aufmerksamkeit, die gute Kindermusik verdient hat.


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Erschienen bei


El Cerrito Records

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 1/5


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