Albumcover "Auf einem Auge Kind"
25.10.2023


Okay Tilda: „Auf einem Auge Kind“



Zuckerbrot und Rebel-Music



Endlich mal keine neue Kindermusik-Band aus Berlin, sondern aus Dresden. Die Stadt hat sich bislang nicht unbedingt als Brutstätte neuer Kindermusiker*innen hervorgetan, doch das könnte sich durch Bandleader Thomas Finaske (Gitarre und Gesang) und seine zwei Mitstreiter Marty (Schlagzeug) und Aik (Bass) nun ändern. Als Okay Tilda treten die drei Musiker nicht nur an, um einen neuen Sound, sondern vor allem auch einen sehr eigenwilligen Look in die Kindermusik-Szene zu bringen. Konsequent kleidet sich das Trio in goldglänzende Jacken und inszeniert sich in seinen Musikvideos in grell leuchtenden Farben. Auffallen um jeden Preis ist angesagt! Mit „Auf einem Auge Kind“ haben Okay Tilda dann auch noch einen ebenso einprägsamen wie genialen Titel für ihr Debutalbum gewählt. So eine Verpackung macht auf jeden Fall neugierig auf den Inhalt.

Das Begrüßungslied „Hey du“ sowie das abschließende „Danke Kinder“ rahmen ein mit rund 30 Minuten Laufzeit recht kurz geratenes Album. Zwischen diesen beiden Titeln versammeln sich elf Lieder, die stilistisch zwischen schrillem Pop und wildem Punkrock schwanken und laut Pressetext den Anspruch formulieren, jeden anständigen Familienalltag auf den Kopf zu stellen. Okay Tilda verstehen sich offenbar als Band mit rebellischer Attitüde und auf dem Album finden sich durchaus auch ein paar Songs, die diesem Selbstbild entsprechen. Laut und druckvoll nimmt zum Beispiel „Störenfrieda“ die Perspektive eines Kindes ein, das sich mit Regeln und den Erwartungshaltungen von Erwachsenen schwertut. (»Ich bin die Störenfrieda, ich komm immer wieder / ich bin gemein und fies, ein echtes Biest.«) Rockig erzählt „Kein Schlaf“ von der Unmöglichkeit, zeitig ins Bett zu gehen. (»Ich lass die Sau nochmal raus und renne mit ihr um das Haus / und hol den Schlaf morgen nach, weil ich ihn jetzt noch nicht brauch.«) Und „Scheibenkleister“ umschifft nur im Songtitel ein verbotenes Schimpfwort, das im Lied selbst umso deutlicher im Mittelpunkt steht. (»Scheiße sagt man nicht / höchstens leise und dann nur zu sich.«) Drei Songs, mit denen sich die Band von einer interessanten Seite zeigt und großen wie kleinen Hörer*innen Freude macht.

Doch auch wenn Okay Tilda (wie inzwischen fast alle Kindermusik-Bands) mit ihren Liedern die ganze Familie im Blick haben, sympathisieren sie deutlich stärker mit Kindern als mit deren Eltern. Ziemlich offensichtlich wird diese Haltung in einem Lied wie „Zucker“, mit dem die Band wissentlich Gefahr läuft, ernährungsbewusste Erziehungsberechtigte gegen sich aufzuhetzen. Die drei Musiker scheren sich aber recht wenig darum und hauen stattdessen mit „Limonade“ (feat. Marceese) gleich den nächsten Song über süße Gelüste raus. Nachdem für Speis und Trank gesorgt ist, schließt sich skurrilerweise direkt das Lied „Wackelzahn“ an. Zum Glück umschiffen Okay Tilda hier aber die naheliegende Pointe, aus dieser (gewollten oder zufälligen?) Reihenfolge ein Ursache-Wirkungs-Prinzip nach dem Motto „hier der Süßkram, dort das Zahnweh“ abzuleiten. Vielmehr schlagen sie mit „Lolli“ wenig später ein weiteres Mal in dieselbe erzählerische Kerbe. Spätestens hier nutzt sich der thematische Fokus ab und erzeugt den Eindruck, als seien der Band die guten Ideen abhandengekommen.

Umso kreativer zeigen sich Okay Tilda aber hinsichtlich ihrer musikalischen Einfälle. Kennzeichnend für viele Lieder sind dezente Stil- und Tempowechsel, wie zum Beispiel in „Superdisko“, „Mein Lego“ oder „Nur noch einmal“. Diese kompositorischen Experimente machen grundsätzlich Freude, sind manchmal aber etwas unpräzise umgesetzt und bringen dann mehr Unruhe als Musikalität in das Album. Doch wer ruhige Kindermusik favorisiert, der ist bei Okay Tilda ohnehin an der falschen Adresse.

Fazit: Als „jung, wild und voller Energie“ beschreiben sich Okay Tilda selbst und tatsächlich bringen diese Worte den Wesenskern dieser Band recht gut auf den Punkt. Optisch wie musikalisch prägen die drei Musiker einen eigenen Stil und folgerichtig brechen sie auch mit der ein oder anderen Erwartungshaltung. Ja, hinsichtlich thematischer Vielfalt, musikalischer Genauigkeit und lyrischer Schärfe lässt „Auf einem Auge Kind“ insgesamt noch Luft nach oben. Doch diese Schwachstellen versteht die Band durch ihr eigenwilliges und authentisches Auftreten durchaus wettzumachen. Der Titel des Albums kommt also sicher nicht von Ungefähr: Hier sind tatsächlich glaubwürdige Überzeugungstäter am Werk! Komplett in Eigenregie und mit entsprechend viel Ehrgeiz umgesetzt, strahlt die energetische Produktion den Schaffensdrang vielversprechender Newcomer aus die den Anspruch formulieren, auf einem immer dichter besetzten musikkulturellen Feld einen eigenen Platz besetzen zu wollen. Der Spaß, den Okay Tilda in diesem Prozess entwickelt haben, kommt in vielen ihrer Songs gut rüber – und um den geht es ja am Ende. Beim Musik machen, wie auch beim Musik hören. Oder, um es mit den Worten der Band zu sagen: „Die besten Eltern sind nicht die Perfekten, sondern die die im Herzen jung und offen geblieben sind.“


Video




Erschienen bei


Oh yeah!

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Bandfoto Okay Tilda

Okay Tilda

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