01.01.2021


Wir Kinder vom Kleistpark: „#backstage“



Musikpädagogisches Empowerment



Sind das nicht Teenager, die uns vom Cover dieser Platte in die Augen schauen? Stimmt! Doch wie wir alle, waren auch sie einmal Kinder - und als solche kamen sie in den Genuss der musikpädagogischen Arbeit der Kita am Kleistpark in Berlin. Das 2008 unter der Federführung von Elena Marx und Jens Tröndele entstandene Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, schon die Jüngsten an das aktive Musizieren heranzuführen und dabei bewusst die Begegnung mit musikalischer Vielfalt zu fördern. Aus der kontinuierlichen Zusammenarbeit von Kita-Kindern, Musikpädagog*innen und Profi-Musiker*innen entstand ein Projekt mit pädagogischem wie musikalischem Vorbildcharakter. Und nun, zehn Jahre später, sind die Kinder, die zur ersten Generation der Kinder vom Kleistpark gehörten, eben Teenager. Doch nicht nur für sie dürfte dieses Jubiläumsalbum eine besondere Bedeutung haben.

„#backstage“ präsentiert eine Zusammenstellung aus den sechs Alben, die seit 2008 mit den Kindern vom Kleistpark produziert wurden. Anders als bei den bisherigen Veröffentlichungen, wird dabei bewusst auf das gesprochene Wort verzichtet. Keine Verse, keine Gedichte oder Geschichten unterbrechen die insgesamt 16 Songs. Umso mehr rückt das in den Mittelpunkt, was die dieses Projekt seit zehn Jahren ausgezeichnet: Die respektvolle musikalische Hinwendung zu den Herkunftsregionen und Kulturen der beteiligten Kinder bzw. ihrer Familien.

Das hebräische Volkslied „Hava Nagila“ eröffnet die vielfältige Liedsammlung, „Epo i tai tai e“ geht dagegen auf einen Chant der Maori zurück. Schon diese zwei Titel markieren das breite musikalische Spektrum der Produktion. Verschiedene Volkslieder aus Brasilien („Balaio“) von den Inuit („Atte katte nuwa“), aus Tanzania („Simama Kaa“) oder auch aus Ghana („Obwisana“) fügen sich wunderbar darin ein. Darüber hinaus kommt es auch zur kreativen Bearbeitung einzelner Titel. „Salibonani“ zum Beispiel, eigentlich ein Begrüßungslied aus Simbawe, wird von mehreren Kindern auf vielen verschiedenen Sprachen vorgetragen. Das fröhliche „Tumba“, das eine ursprünglich palästinensische Melodie zitiert, groovt im leichten Elektro Swing und greift sprachlich auf einfache Nonsens-Verse zurück. In die Kategorie „volkstümliches Nonsenslied“ fallen auch „Jimba Papaluska“ und „Bomm bomm tschika“. Mit „Nussstrudel“ und „Das ist gerade, das ist schief“ sind auch zwei deutschsprachige Titel auf dem Album vertreten, die durch ihre leicht elektronische Anmutung auffallen. In der Summe bündelt die Produktion also nicht nur zehn Jahre Musikgeschichte aus der Kita am Kleistpark, sondern auch und vor allem musikkulturelle Einflüsse von allen Kontinenten der Erde.

In dieser kompakten Form kommt auf „#backstage“ der Charakter des Projekts Wir Kinder vom Kleistpark besonders zum Strahlen. Professionelle Musiker*innen bringen ihr ganzes Können ein, um den an der Produktion beteiligten Kindern einen Raum zu eröffnen, den sie unerschrockenen und lustvoll mit ihrem Gesang füllen dürfen. Nicht nur im Prozess, sondern auch im Ergebnis werden hier also hohe Ansprüche an die musikpädagogische Arbeit gestellt. Von dieser Herangehensweise profitieren nicht nur die unmittelbar am Projekt beteiligten Kinder, sondern auch die Kinder, die die Lieder „nur“ hören können. Denn während die zahlreichen musikalischen Einflüsse neue stilistische Horizonte eröffnen, motivieren die sprachliche Offenheit und die kurzen, sich oft wiederholenden Verse, zur lautmalerischen Nachahmung.

Fazit: Best of-Alben stehen nicht unbedingt im besten Ruf. Allzu oft dienen sie vorrangig dem Ziel, mit möglichst wenig Aufwand Kapital aus der musikalischen Vergangenheit zu schlagen. Das Projekt Wir Kinder vom Kleistpark fußte jedoch von Beginn an auf anderen Grundprinzipien. Es folgt keinem kommerziellen Interesse, sondern vielmehr ausgeprägter musikalischer Leidenschaft und dem festen Willen, schon jüngste Kinder bei der Entdeckung ihrer eigenen Musikalität zu unterstützen. Der Wert dieser musikalischen Arbeit liegt also weniger in den einzelnen Liedern, sondern im Projekt insgesamt. Wir Kinder vom Kleistpark ist musikpädagogisches Empowerment und interkulturelle Entdeckungsreise zugleich. Kulturelle Vielfalt bleibt hier kein abstraktes Konstrukt, sondern wird zu einer unmittelbaren Erfahrung für alle. Die sechs Veröffentlichungen der vergangenen zehn Jahre sind ein eindrucksvoller Beleg dieses ebenso professionellen wie zeitgemäßen Anspruchs. Völlig zu Recht haben sich die am Projekt beteiligten Kinder und Erwachsenen mit der Compilation „#backstage“ nach zehn Jahren also ein musikalisches Denkmal gesetzt. Hoffen wir, dass es nicht das Ende, sondern lediglich den vorläufigen Höhepunkt einer vorbildlichen musikalischen Arbeit mit Kindern und für Kinder markiert.

Erschienen bei


Fünfton

Veröffentlicht


2018

Bewertung der Redaktion: 5/5


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