Albumcover "Barfuß"
26.04.2024


Herr Jan: „Barfuß“



Projekt Weltverbesserung



Auf dem Cover seines letzten Albums durchstieß Herr Jan noch in Superheldenpose die Wolkendecke. Inzwischen ist er wieder gelandet und anscheinend deutlich geerdeter unterwegs. „Barfuß“ heißt der dritte Longplayer von Jan Sedgwick, der sich mit viel musikalischem Talent in die Herzen zahlreicher Kinder und Familien gespielt hat. Ohne Schuhe und entsprechend sensibel macht er sich also diesmal auf den Weg und präsentiert zwölf neue Songs in gewohnt bestechender Qualität. Einige davon dürften treuen Fans bereits bekannt sein, denn im Musikstreaming- Zeitalter ist es längst gute Sitte, einzelne Tracks bereits vor dem Albumrelease zu veröffentlichen. „Barfuß“ zeigt aber exemplarisch, um wie viel tiefgründiger eine musikalische Erfahrung sein kann, wenn große wie kleine Hörer*innen die Möglichkeit haben, sich einem umfassenden Gesamtwerk zuzuwenden.

Beschwingt inszeniert sich Herr Jan im Titelsong „Barfuß“ erstmal als achtsamer Naturfreund (»Ich geh barfuß / bestell dem Stress ´nen schönen Gruß.«) und stellt dabei die atmosphärischen Weichen für das gesamte Album. Ruhige Momente und orchestral arrangierte Höhepunkte fließen in diesem Lied nämlich organisch zusammen und deuten klare Kontraste an. „Freundlich sein ist cool“ schaltet dann auch gleich einen Gang höher. Begleitet vom virtuos aufspielenden Gipsy Jazz-Gitarristen Joscho Stephan plädiert der Song mit treibender Energie für mehr Herzenswärme und Mitmenschlichkeit. (»Freundlich sein ist cool, cool sein ist es nicht / freundlich sein ist cool, mit ´nem Lachen im Gesicht.«) Garniert mit einer Prise Funk sinniert Herr Jan in „Kein Bock“ anschließend über Prokrastination. Wie gut, dass er die Ursache für diese sympathische Charakterschwäche einem unschuldigen Tier andichten kann. (»Anscheinend hat mein Bock sich gerade wieder mal verdrückt / und trifft sich mit dem Schweinehund. Hey Bock, komm zurück!«) „Hauptsache, es rollt“ (feat. Niko) schlägt stilistisch wieder in eine andere Kerbe. Etwas bemüht imitiert der Song das Gangsta Rap-Genre, findet im Text jedoch eine gelungene Analogie zur Lebenswelt von Kindern. (»Gebt mir BMX, Inlines, Skateboard, Fahrrad, was ihr wollt / Marke ist egal, Hauptsache es rollt.«) In Songs wie diesen zeigt sich Herr Jan von seiner humorbegabten Seite.

In anderen Liedern wagt er sich in die tieferen Sphären menschlicher Befindlichkeiten vor. Ziemlich romantisch ist zum Beispiel „Stern“ (feat. Meral Al-Mer) geraten, eine wohlig klingende, universelle Liebeserklärung zwischen zwei Menschen, die sich viel bedeuten. „Verliebt“ (feat. Lina Maly) geht diesbezüglich noch einen Schritt weiter und sucht nach kindgerechten Worten für das überwältigende Gefühl des Verliebtseins. (»Du lässt neue Saiten meiner Seele in mir schwingen / sie spielen neue Lieder und mir gefällt, wie sie klingen.«) Ebenfalls als Rap-Song angelegt und ziemlich klug, reflektiert „Ich bin ich“ (feat. Sukini) schließlich auch noch die Selbstliebe. (»Ich bleib mir selber treu und weiß es wird sich lohnen. / Ich bin ich! Alle anderen gibt es schon.«)

Die Lücke zwischen Humor und Herzensangelegenheiten füllt Herr Jan mit Liedern, die seine Expertise als stilistisch vielseitiger Singer-Songwriter zum Vorschein bringen. Leichtfüßig wirbt der muntere A Capella-Track „Bleib mal locker“ für eine entspannte Lebenshaltung. (»Irgendwer hat immer mehr, das Leben ist nicht immer fair / doch wer sich ständig ärgert macht sich selbst das Leben schwer.«) Im entspannten Offbeat lädt „Flieg“ dazu ein, das Erwachsenwerden als selbstbestimmten Freiflug auszukosten. (»Ich weiß, es ist nicht immer leicht durchs Leben zu schweben / doch du hast alles was man braucht um abzuheben.«) Philosophisch greift „Gedankenketten“ komplexe Fragen zur Unendlichkeit auf und experimentiert in Text und Musik mit scheinbar unendlich fortlaufenden Loops. Und wer bis hierher noch immer nicht verstanden hat, was Herr Jan als Künstler im Schilde führt, dem ruft er es in „Die Welt“ zu 80er-Jahre Synthie-Pop noch einmal unmissverständlich zu: »Lass uns die Welt ein bisschen schöner machen. / Verstehst du was ich meine, macht das Sinn für dich? Dann mach mit!« An Kinder gerichtet ist das ein überraschend deutlicher, womöglich auch überfordernder Appell. Mit seiner von Achtsamkeit und Verbundenheit geprägten Grundhaltung bemüht sich Herr Jan aber zugleich darum, ihnen die vielleicht wirkungsvollste Ressource für das Projekt Weltverbesserung an die Hand zu geben.

Fazit: Als Herr Jan vor ungefähr sechs Jahren seine ersten Kinderlieder veröffentlichte, da war er noch junger Vater. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Deutlich hört man „Barfuß“ an, dass das Leben nicht stehengeblieben ist. Die Perspektive des Musikers auf Kindheit, Familie und die Herausforderungen des Alltags insgesamt scheint sich verändert zu haben. Das deutet bereits der Albumtitel an, denn wer ohne Schuhe durch die Welt wandelt, der möchte etwas spüren und nimmt dabei bewusst auch Verletzungen in Kauf. In ihrer Gesamtheit spiegeln die Lieder auf „Barfuß“ die Dialektik des Daseins zwischen Freude und Melancholie, zwischen Zuversicht und Sorge, zwischen Mut und Selbstzweifeln. Herr Jan leugnet nicht, dass das Leben Höhen und Tiefen bereithält, doch trotz aller Widrigkeiten bleibt seine Haltung von Optimismus geprägt. Der transportiert sich vor allem durch die teils opulente musikalische Ausgestaltung des Albums. Inhaltlich lädt „Barfuß“ dagegen immer wieder zur Reflexion und kritischen Selbstverortung ein und verlangt Kindern damit viel ab. Prägnant offenbart sich diese Beobachtung am Ende des Hidden Tracks, in dem sich Herr Jan am deutlichsten von seiner melancholischen Seite zeigt. „Hey mein kleiner Sonnenschein, du musst nicht traurig sein!“, flüstert ihm eine Kinderstimme abschließend ins Ohr und ringt ihm damit ein zaghaftes Lächeln ab. In diesem letzten Moment der Platte verschiebt sich die im Kinderlied so oft eingeforderte Augenhöhe kurz in eine diffuse Richtung. Ist es tatsächlich die Aufgabe von Kindern, uns Erwachsenen in diesen aufwühlenden Zeiten Mut zuzusprechen? Sicher ist es das nicht. Schön ist es aber, wenn wir ihnen das zumindest zutrauen.


Video




Erschienen bei


It Sounds

Veröffentlicht


2024

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Porträt Herr Jan

Herr Jan

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