Albumcover "Crash! Boom! Bang!"
31.03.2023


Raketen Erna: „Crash! Boom! Bang!“



Kindermusik zum Lesen



Geht’s eigentlich nur mir so, dass ich bei „Crash! Boom! Bang!“ zuerst an Roxette denken muss, die bereits in den 90er-Jahren ein gleichnamiges Album veröffentlicht haben? Sei’s drum... Jenseits dieses unbedeutenden Plagiats kann man Raketen Erna nicht vorwerfen, dass sie dem schwedischen Pop-Duo in relevanter Weise nacheifern würden. Auf ihrem inzwischen vierten Album zeigt sich die Berliner Band gewohnt eigenständig und erfreulich innovativ. Das allerdings noch mehr in konzeptioneller, als in musikalischer Hinsicht. Streng genommen ist „Crash! Boom! Bang!“ nämlich gar kein Album im klassischen Sinne geworden. Für diese Veröffentlichung haben sich Raketen Erna etwas Besonderes einfallen lassen. Aber der Reihe nach... Werfen wir zunächst einen Blick auf die Songs, die Marceese Trabus (Gitarre), Tarik Maana (Bass) und Caroline Weber (Drums) hier zum Besten geben.

Seit inzwischen sechs Jahren verfolgen Raketen Erna das Ziel, Haltung und Unterhaltung kindgerecht miteinander zu koppeln. Das gelingt der Band auch jetzt wieder auf vielfältige Weise. Gleich zum Einstieg greift „Comic-Held“ den Albumtitel „Crash! Boom Bang!“ als eingängige Hookline auf und verknüpft dabei kindliche Superheld*innen-Phantasien mit politischer Attitüde. (»Ich würde Rettungsboote ins Meer versenden / keinen einzigen Cent mehr für Quatsch verschwenden. (...) Ich würde Milliarden in die Bildung investieren und die Bösen würden immer verlieren.«) Viele andere Lieder folgen diesem Anliegen. „Die Schornsteinfegerin trägt schwarz“ würdigt eine Berufsgruppe, die in dem charmanten Ruf steht Glück zu bringen und offenbart dabei feministischen Anspruch. (»Good girls wear black – Gastherme check.«) Für die wechselseitige Abhängigkeit von Mensch und Natur sensibilisiert „Der Baum“, während „Farben sind für alle da“ Vielfalt zelebriert. (»Steh auf, dreh dich / diese Welt will dich sehen... wie du bist.«) Man kann solchen Song eigentlich keinen Vorwurf machen, außer vielleicht den, dass in den Botschaften der Band nach nunmehr vier Alben eine gewisse Redundanz erkennbar wird. Hier und da ließe sich Haltung ja auch mal in eine anschauliche Geschichte verpacken, aber das ist nicht „die Raketen Erna ihr Ding“. Oder vielleicht doch? Beim Marketing greift die Band nämlich umso mehr auf klassisches Storytelling zurück.

Da physische Tonträger inzwischen kaum noch den Weg ins Kinderzimmer finden, haben Raketen Erna für „Crash! Boom! Bang!“ konsequent auf CD-Pressungen verzichtet. Auch auf den Streaming- und Downloadportalen werden nur einzelne Songs des neuen Albums zu finden sein. Stattdessen stellt die Band mit einem 24-seitigen Printmagazin ein schriftbasiertes Medium in den Mittelpunkt, das in Anlehnung an das klassische CD-Booklet inhaltlichen Mehrwert bieten möchte. Nicht nur Songtexte und Akkorde sind in dem comicartig gestalteten Heft zu finden, sondern auch Rätsel und Spiele. Und vor allem: reichlich Klatsch und Tratsch über Raketen Erna. Dass in diesem Musikmagazin für Kids auch ein Download-Code für alle dreizehn Songs zu finden ist, versteht sich von selbst. Mit diesem Format beschreitet die Band einen interessanten Weg der Zielgruppenansprache. Klar steckt dahinter das Anliegen, einigermaßen passable Umsätze mit der eigenen künstlerischen Arbeit erzielen zu wollen. Zugleich ist das Magazin aber auch eine ziemlich zeitgemäße und in der Gattung Kindermusik bislang einzigartige Idee, um die Verbindung zwischen Musik und Musiker*innen für Kinder im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich zu machen.

Innovationsgeist steckt aber nicht nur im gedruckten Beiwerk der neuen Platte. Tatsächlich hat „Crash! Boom! Bang!“ auch in musikalischer Hinsicht ein paar Highlights zu bieten. Sehr wohltuend zeichnet zum Beispiel „The Kids of the Screenage“ endlich mal ein positives und stärkendes Selbstbild einer von digitalen Medien geprägten Generation. (»Wir zocken und wir bloggen ohne Bildschirmzeit / wir hacken dein Passwort – mach dich bereit!«) Mutig holt „Bye Bye Bye“ Kinder, die mit einem Todesfalls klarkommen müssen, im diffusen Gefühl zwischen Trauer und Verzweiflung ab. Und mit stampfendem Beat, verzerrten Gitarren und lautem Gebrüll entpuppt sich „Tanzen und springen“ als eine Art Anti-Schlaflied. (»Nicht müde trotz Schlafanzug / ich geh steil, und zwar akut.«) Diese und viele weitere Ideen verpacken Raketen Erna in ihren gewohnt schroffen Sound, der die größtmögliche Distanz zum betulich komponierten Kinderlied sucht. Mit diesem Gesamtpaket unterstreicht die Band nicht nur ihren Ruf als feste Größe, sondern auch als kreativer Impulsgeber der Kindermusikszene.

Fazit: „Crash! Boom! Bang!“ bereichert die Gattung Kindermusik erneut mit einem guten Dutzend eigenwilliger Songs. Rein musikalisch hätte dem Album die ein oder andere Überraschung gut getan, doch letztlich bleiben Raketen Erna ihrem Stil treu: wenig gefällig, leicht sperrig und gerade dadurch unverwechselbar. Auch inhaltlich hat die Band kaum Neues mitzuteilen, aber seine Überzeugungen wechselt man ja auch nicht wie die eigene Unterwäsche. Spannend ist aber vor allem das Marketing-Konzept der Platte, das einen vielversprechenden Ausweg aus einer wahrlich komplexen Zwickmühle für Kindermusiker*innen sucht. Für sich genommen mag ein knallbunt gestaltetes Printmagazin zwar nur wenig innovativ daherkommen. Durch seinen gezielten Zuschnitt auf das Album setzt es aber eigenwillige Maßstäbe. Denn anders als ein herkömmliches Liederbuch, stärkt es in seiner inhaltlich vielfältigen Aufmachung die Bindung zwischen Band und Kind in einer ansprechenden und überaus zielgruppengerechten Form. Eine Idee wie diese zeugt vom grundlegenden Innovationspotential der Kindermusikszene und könnte andere Kolleg*innen zukünftig zur Nachahmung verleiten. Der Erfolg dieses Wagnisses hängt letztlich aber vor allem von den Eltern ab, denn sie müssen das Magazin nun auch bestellen – oder direkt bei einem Konzert erwerben. Man kann Raketen Erna nur wünschen, dass dieses mutige Experiment glücken wird. Gut möglich, dass den Kinder das Heft am Ende dann noch besser gefällt, als die Musik, die es illustriert.


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Erschienen bei


Raketen Erna

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Raketen Erna

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