Albumcover "Da haben wir den Salat"
02.06.2023


Sukini: „Da haben wir den Salat“



Kindheit als Politikum



Überraschend oft kommt in Kinderliedern eine leicht verklärte Perspektive auf das Aufwachsen zum Vorschein. Das ist insofern verwunderlich, als dass doch gerade die Kindheit das Potential beinhaltet, das weitere Leben komplett zu versauen. Diesem Risiko scheint sich auch Sookee bewusst zu sein. Schon 2019, als sie mit dem Album „Schmetterlingskacke“ erstmals als Sukini die Bühne betrat, wurde deutlich, dass hier eine ziemlich politisierte Kindermusikerin am Werk ist. Die Rapperin und Aktivistin entwarf in ihren Songs eben kein romantisches Bullerbü-Idyll, sondern verstand das Aufwachsen eines Kindes als das, was es ist: Einen komplexen Prozess in einer komplexen Welt. Mit „Da haben wir den Salat“ meldet sich Sukini nun zurück und präsentiert erneut handgemachte, Hip Hop-inspirierte Musik für Kinder, mit der sie auch zu vielen gesellschaftspolitischen Sachlagen Position bezieht.

Der Opener „Da haben wir den Salat“ thematisiert allerdings erstmal keine zwischenmenschlichen Konflikte, sondern widmet sich dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Trotzdem zeigt das Lied bereits ganz gut, wie sich Sukini ihren persönlichen Herzensanliegen künstlerisch nähert. In dem Song spricht sie sich nämlich für vegane Ernährung aus, ohne dabei in den Imperativ „Hört auf, Tiere zu essen!“ zu verfallen. Stattdessen nimmt sie eine klare Haltung ein, die Kinder natürlich teilen dürfen, die sie aber eben nicht teilen müssen. (»Ich lass die Ziegen in Frieden, bin zu dem Schaf ganz brav / und weil ich die Tiere liebe ist mein Magen kein Grab.«) Wer hier bereits Moralismus wittert und gleich in Schnappatmung verfällt, der muss sich im weiteren Verlauf der Platte auf einiges gefasst machen. Denn Songs mit Haltung hat dieses Album reichlich zu bieten. „Okay Leutis“ (feat. D!E GÄNG und Shaban) ist ein energiegeladener Dialog der Generationen, der Konflikte zwischen Kinder und Eltern in aller Klarheit benennt, zugleich aber auch Empathie für beide Seiten einfordert. Etwas plakativ erklärt „Kinderrechte“ Nutzen und Notwendigkeit der UN-Kinderrechtskonvention, lässt Kindern aber auch Platz für die Reflexion der Frage: Was haben Kinderrechte eigentlich mit mir zu tun? Kraftvoll und funky stellt „Regenbogenhaus“ (feat. Saskia Lavaux) binäre Geschlechterzuordnungen infrage (»Wir fordern nicht viel, wir fordern nur das / mehr Freiheit und eine buntere Vorstellungskraft.«), „Ein sicheres Haus“ wiederum zitiert Statements von Kindern, die im Frauenhaus leben und diesen Ort ihren als Safe-Space erleben.

Die Energie dieser Songs ist eindeutig progressiv und doch sind sie allesamt von einer ausgesprochen positiven Grundhaltung durchzogen. Das liegt vor allem an der mitreißenden Musikalität der Platte. Für Hip-Hop eher unüblich, wurden alle Lieder von einer Band eingespielt – und die hatte offenbar große Freude daran, Sukinis Sprachakrobatik rhythmisch und harmonisch in Szene zu setzen. Hinzu kommt, dass sich Sukini beim Songwriting für ein sogenanntes Sensitivity-Reading entschieden hat. In diesem Prozess werden Texte auf die (meist unbewusste) Reproduktion diskriminierender Sprache und Erzählmuster geprüft. Jedes einzelne Wort wurde hier also nochmal auf die Goldwaage gelegt. Bei aller Ernsthaftigkeit findet das Album so eine gute Balance zwischen inhaltlicher Präzision und musikalischer Leichtigkeit.

Neben ihrer kämpferischen Haltung lässt Sukini in vielen Liedern aber auch ihre weiche Seite durchschimmern. „Einverstanden“ thematisiert das so oft eingeforderte Miteinander von Eltern und Kindern auf Augenhöhe und spricht sich unmissverständlich für kindliche Selbstbestimmung im Alltag aus. (»Du darfst dich immer umentscheiden, keine Bange / ich kann warten, es dauert nicht zu lange.«). „Gefühlemühle“ räumt sämtlichen Emotionen zwischen Brust und Bauch einen gleichwertigen Platz ein (»Gefühle sind nicht nur gut und schlecht / mit dieser simplen Trennung wird man ihnen nicht gerecht.«), während das Geburtstagslied „Allet Jute“ körperliches und inneres Wachstum zueinander in Beziehung setzt. In „Immer da für dich“ und „Ich denk an dich“ macht sich Sukini schließlich auch als Mutter ehrlich und findet berührende Worte für die bedingungslose Liebe zwischen Eltern und Kindern. (»Ich hab, egal wie groß meine Sorgen sind, immer ein offenes Ohr für dich / auch wenn ich unterm Kummer verborgen bin, komm ich darunter vor für dich.«) Wie in allen Liedern, textet sie auch hier nicht aus kindlicher Perspektive, sondern bietet als erwachsene Person das Gespräch an. Nicht in verniedlichendem Tonfall, sondern aufrichtig, interessiert und vollkommen vorurteilsfrei.

Fazit: Was Sukini auf ihrem ersten Album begonnen hat, setzt sie auf „Da haben wir den Salat“ in aller Konsequenz fort. Entschlossen positioniert sie sich als Anwältin für Kinder – vor allem für die, die sich in ihrer Individualität zu wenig gesehen oder in ihren Anliegen nicht ernst genommen fühlen. Als Adultimus bezeichnet man diese Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen. Auch wenn diese Diskriminierungsform nicht pauschal auf alle Eltern-Kind-Beziehungen übertragen werden sollte, ist es doch richtig, große und kleine „Leutis“ dafür zu sensibilisieren. Sukini gelingt das auf eine bemerkenswert entspannte Weise. Trotz inhaltlichem Anspruch behandelt sie Kinder nicht als kleine Erwachsene, sondern findet im gelungenen Zusammenspiel aus Musik und Text eine Tonalität, die gesellschaftliche Komplexität für sie greifbar und zugleich gut verdaulich macht. Voraussetzung zur Rezeption ihrer neuen Platte ist allerdings schon ein wenig Lebenserfahrung. Sukini-Fans gehen vermutlich nicht mehr in den Kindergarten oder etwa in die Kita. Im Umkehrschluss sind dem richtigen Sukini-Alter nach oben aber auch keine Grenzen gesetzt. Mit ihren politisierten Songs definiert die Berliner Musikerin vollkommen neue Maßstäbe für Kindermusik. Natürlich muss die nun nicht immer so beschaffen sein. Das kann sie schon deshalb nicht, weil die Rolle als aktivistische/r Kindermusiker*in auch glaubwürdig ausgefüllt werden möchte. Sukini verfügt jedoch über diese Authentizität und wirkt dabei eben nicht moralisierend, sondern überaus ermutigend. „Da haben wir den Salat“ ist ein Album, von dem man sich wünscht, dass man es als Kind selbst hätte hören können.


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Erschienen bei


Karussell/Universal Music

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 5/5


Künstler*in



Pressefoto Sukini

Sukini

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