01.01.2021


„Der kleine Ton“



Die Entdeckung der Leidenschaft



Die Berufsbiografien von Menschen, die sich um das moderne Kinderlied bemühen, fördern bisweilen interessante Karriereschritte zutage. So auch im Fall von Loretta Stern, auf deren Initiative das Musikhörspiel „Der kleine Ton“ maßgeblich zurückgeht. Die Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin war Mitte der 90er-Jahre Mitglied der Eurodance-Formation Sqeezer, die unter anderem mit dem Hit „Blue Jeans“ erstaunliche Erfolge feierte. Für die Umsetzung des Musikhörspiels „Der kleine Ton“ holte sie den Komponisten und Produzenten Bela Brauckmann mit ins Boot, der in etwa zur selben Zeit mit der Band Cultured Pearls durch die Lande zog. Beide Projekte sind längst Geschichte, doch die Leidenschaft für Musik ist Stern und Brauckmann erhalten geblieben. Mit dieser Hörspiel-Produktion versuchen sie, auch Kindern ihre Begeisterung zu vermitteln.

Der kleine Ton fristet ein latent unzufriedenes Dasein auf der Notenlinie einer Klavier-Etüde. Denn das junge Mädchen Antonia, das diese Etüde eigentlichen üben und den Ton so zum Klingen bringen sollte, ist leider ausgesprochen spielfaul. In der Folge wird der kleine Ton zum „Systemkritiker“ und verlässt, gegen Geheiß des autoritären Violinschlüssels, kurzerhand das Notensystem. Kaum, dass er diesen mutigen Schritt vollzogen hat, freundet er sich mit Peggy Pause an, die sich als seine liebenswerte Antagonistin entpuppt. Während der kleine Ton überaus lebendig die Welt erkunden möchte, will sich Peggy Pause eigentlich immer nur ausruhen und schlafen. Das Zusammenwirken dieser ungleichen Protagonist*innen bildet die Grundlage für eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Reise durch die Klangwelten des Alltags und die unterschiedlichsten Musikrichtungen.

Wie so viele andere Musikhörspiele für Kinder, folgt also auch „Der kleine Ton“ einer didaktischen Idee. Kinder, die diese Produktion hören, sollen dabei also auch etwas lernen. Viel zu oft hat sich die musikalische Qualität diesem Grundprinzip unterzuordnen. Glücklicherweise ist das hier aber nicht der Fall. Dafür sorgen nicht nur zahlreiche musikalische Gäste (u.a. Denyo, Johannes Oerding, die Jazzlegende Rolf Kühn oder das Filmorchester Babelsberg), sondern auch die Unterstützung des Arrangeurs Gunter Papperitz, der schon beim Album „Stadtaffe“ von Peter Fox seine Finger mit im Spiel hatte. Hinzu kommt, dass sich „Der kleine Ton“ nicht allein darauf beschränkt, spezifische Genres vorzustellen, sondern darüber hinaus auch musiktheoretisches Wissen vermittelt: In welchem Verhältnis steht ein einzelner Ton zu einem Akkord? In welcher Reihenfolge sind die Töne angeordnet und welchem Prinzip folgt diese Ordnung? Was ist ein Solo, was eine Kadenz? Und nicht zuletzt natürlich die wichtigste Frage von allen: Macht der Ton oder macht die Pause die Musik? All das wird in einem 80-minütigen Hörspiel verhandelt und auf einem zweiten Tonträger mit zehn Liedern auch musikalisch veranschaulicht. Ein illustriertes Bilderbuch rundet die Produktpalette ab. Am Ende hat der kleine Ton natürlich seinen großen Auftritt – und vermutlich werden bis dahin nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern noch viel Neues über Musik gelernt haben.

Fazit: Ja, wohlmöglich steckt etwas zu viel pädagogischer Anspruch in „Der kleine Ton“. Schließlich besteht die Grundidee der Geschichte vor allem darin, das faule Mädchen Antonia zum Üben zu motivieren. Die einzelnen Lieder wiederum erfüllen zwar ihre Aufgabe, die im Buch bzw. Hörspiel vorgestellten Genres stilecht abzubilden, bleiben dafür inhaltlich aber etwas unspezifisch. Schade ist auch, dass das Hörspiel und die dazugehörigen Lieder auf zwei separaten Tonträgern angeboten werden. Diese Trennung erschwert es den Kindern, direkte Bezüge zwischen der Geschichte und Musik herzustellen. Jenseits dieser Kritikpunkte besticht die Produktion aber durch ihre inhaltliche Sorgfalt und das gut austarierte Verhältnis von musikpädagogischem Anspruch und gelungener Unterhaltung. Vom Sprecher über die Musiker*innen bis hin zum Arrangeur und den Komponist*innen waren in allen Gewerken Profis beteiligt. Das hört man dem Ergebnis an. Im direkten Vergleich zu vielen anderen Kindermusik-Produktionen aus Berlin verzichtet „Der kleine Ton“ außerdem darauf, den Lifestyle der Hauptstadt selbstverliebt abzufeiern. Stattdessen stellt das Musikhörspiel die Stadt als spannenden Erlebnisraum dar, in dem es für alle Kinder viel zu entdecken gibt. Am Ende steht schließlich die rührende Erkenntnis, dass Töne und Pausen gleichermaßen zur Musik gehören. „Alle hören dir zu, obwohl du eine Pause bist!“, ruft der kleine Ton seiner Freundin Peggy Pause voller Begeisterung zu. Kinder lernen in diesem Hörspiel also nicht nur etwas über Musik, sondern auch über die Anerkennung verschiedener Talente. Womöglich bildet die Vermittlung genau dieser Haltung die wichtigste Basis, wenn es darum geht, ihre Leidenschaft für die eigene Musikalität zu wecken.


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Erschienen bei


Oetinger Verlag

Veröffentlicht


2020

Bewertung der Redaktion: 4/5


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