Albumcover "Dingoingo"
10.12.2021


Pohlmann: „Dingoingo“



Fabel-hafte Kinderlieder



Als Pop-Musiker einen einzigen Hit gelandet zu haben, dürfte Segen und Fluch zugleich sein. Auf der einen Seite steigert er die Bekanntheit schlagartig (und im besten Fall auch nachhaltig). Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die eigene künstlerische Arbeit über lange Zeit auf diesen einen Song reduziert wird. So in etwa scheint es Pohlmann in den letzten 15 Jahren ergangen zu sein. So lange ist es nämlich her, dass sein Ohrwurm „Wenn jetzt Sommer wär“ erschienen ist. 2006 lief er auf allen Radiowellen der Nation rauf und runter – und bis heute leitet mindestens ein Verweis auf das Lied fast jeden Artikel über den Musiker ein: Pohlmann, sie wissen schon, der mit... Dass der Wahlhamburger seitdem fünf weitere Studioalben veröffentlicht hat, auf denen er sich als ebenso versierter wie kluger Singer-Songwriter präsentiert, davon hat eine breitere Öffentlichkeit kaum Notiz genommen.

Vor sechs Jahren selbst Vater geworden, zieht es Pohlmann nun aber offenbar auch zur Kindermusik. Ganz neu ist diese Gattung nicht für ihn. Schon auf der ersten Unter meinem Bett-Compilation (2015) war er mit einem Beitrag vertreten und auch bei den Giraffenaffen hat er mit einer neuen Version von Gerhard Schönes Klassiker „Jule wäscht sich nie“ sein Faible für Kinderlieder offenbart. Mit „Dingoingo“ veröffentlicht er nun sein erstes vollständiges Album für Kinder. Kommt darauf zusammen was zusammengehört oder ist Pohlmann eher der Sorte etablierter Künstler*innen zuzuordnen, die das Kinderlied vornehmlich in den Dienst kommerzieller Interessen stellen?

Die Platte beginnt mit Geräuschen, die einen harmlosen Unfall mit dem Fahrrad (Dreirad, Bobbycar, Tretroller, ...) erahnen lassen. Anstelle von schmerzerfülltem Geschrei hören wir jedoch ein quirliges Kinderlachen – und sogleich rollt der erste Song „BabyEierLeicht“ rein: »Du liegst immer gut in der Zeit / und was dir erst zu schwer war, wird babyeierleicht«, singt Pohlmann und beschwört zu beschwingten Klängen Tugenden wie Ausdauer und Durchhaltevermögen. Ein schöner Opener, der gute Laune verbreitet, Ohrwurmpotential mitbringt und mit einer selbstermächtigenden Haltung aufwartet, die sich durch gut die Hälfte der Lieder dieses Albums zieht. Im Lied „Emma“ beispielsweise möchte das gleichnamige Pony der Eintönigkeit des Rummelplatzes entfliehen und stiftet die anderen Ponys zur gemeinsamen Flucht an. (»Träumt ihr nicht auch von der Mongolei? / Im Land unserer Vorfahren da wären wir frei. / Hey, ich mach ‘n Abgang. Wer ist dabei?«) Ein erster Hinweis darauf, dass Pohlmann gerne Analogien aus dem Tierreich bemüht. Es gibt noch mehr Songs ähnlicher Machart. Zuvor wagt sich aber „Nöö Misjööö“ auf pädagogisch heikles Terrain. Mit sonorer Stimme wartet hier nämlich ein Fremder mit allerlei dubiosen Verlockungen auf, die Pohlmann jedoch ebenso entspannt wie bestimmt abzuwehren versteht. (»Und selbst wenn Sie was hätten, das ich spannend fänd‘ / ich hau lieber ab, Sie sind mir völlig fremd.«) Dieses ernste Thema in ein musikalisch mitreißendes Kinderlied zu verpacken, ist schon eine kleine Meisterleistung. „Entschuldigung angenommen“ beschreibt dagegen nicht nur die Sinnlosigkeit eines Streits, sondern auch das befreiende Gefühl, sich aller Meinungsverschiedenheiten zum Trotz wieder vertragen zu können. „Schaut doch mal her“ wiederum wendet sich aus kindlicher Perspektive direkt an alle Erwachsenen und erinnert mit Nachdruck daran, wie schnell Kinder größer werden – und dass es die gemeinsame Zeit als Familie folglich zu genießen gilt. (»Oma, Opa, Mama, Papa, guckt mal, was ich kann / ich mach das noch ‘ne Weile, aber nicht mehr so lang.«) Allesamt Songs, in denen Pohlmann sein Können als Singer-Songwriter ohne nennenswerte Abstriche auf das Kinderlied überträgt und Kinder dabei als Gestalter*innen ihrer eigenen Lebenswirklichkeit anspricht.

Dem gegenüber stehen eine Handvoll Lieder, die mehr unterhalten als ermutigen möchten. Auch das ist natürlich ein legitimer Anspruch, der auf „Dingoingo“ sogar für wohltuende Abwechslung sorgt. Ziemlich gelungen ist zum Beispiel „Langweilig“. Inhaltlich basiert der Song auf einer für Eltern und Kinder allzu bekannten Alltagssituation – nämlich einer viel zu langen Autofahrt. In Kombination aus feinem Sprachwitz und einem zum Mitsingen animierenden Arrangement, albert der Song fröhlich herum und hat das Potential zum echten Kindersitz-Schlager. Hinsichtlich ihrer musikalischen Umsetzung stehen auch das „Wespenlied“ oder das mit plattdeutschen Versatzstücken getextete „Plueschmoors und Bottervogel“ (Hummel und Schmetterling) diesen Liedern in nichts nach, bleiben inhaltlich aber doch etwas belanglos. Auch die von Lina Maly mit ihrer sanften Stimme vorgetragene Ballade „Schmetterling“ sorgt in diesem Umfeld für Redundanz. Was hat Pohlmann nur mit all den Insekten zu schaffen? Sein erzählerischer Rückgriff auf die Tierwelt weckt Assoziationen zu Fabeln. In der Summe wird diese Herangehensweise etwas überstrapaziert, macht das Album so aber gerade auch für jüngere Kinder sehr zugänglich.

Fazit: Mit „Dingoingo“ liefert Pohlmann eine überzeugende Visitenkarte als Kindermusiker ab, denn seine Lieder schmeicheln nicht nur verwöhnten Ohren, sondern vor allem auch solchen, die es noch werden wollen. Keine verzerrten Gitarren, keine elektronischen Beats, stattdessen stimmungs- und gefühlvoll arrangierte Songs mit eingängigen Melodien, die durchweg Freude bereiten. Auch inhaltlich hat der Musiker das Kinderlied in seinem Potential erfasst. „Wo man politische Songs macht, versuche ich, diplomatisch ranzugehen. Ich glaube, was wir lieben, schützen wir. Deswegen versuche ich, durch die Liebe zur Sache etwas aufzubauen. Ein Bewusstsein schaffen für das Bewusstsein. Das ist meine Art von Protest, die immer unterschwellig im Text vorkommt.“ So hat Pohlmann in einem älteren Interview die Frage beantwortet, ob er sich als selbst Protestsänger versteht. Genau diese Haltung kommt auch auf „Dingoingo“ in vielen Songs zum Vorschein – am schönsten wohl im letzten Lied „Maulwurf“, mit dem der Musiker vor sechs Jahren auf der ersten Unter meinem Bett-Compilation vertreten war. Als Erzählung von der unbändigen Neugier eines kleinen Erdbewohners, ähnelt auch dieses Lied einer vertonten Fabel. In seiner poetischen Anmutung bildet dieser kunstvolle Song aber nicht nur den Schlusspunkt, sondern zweifellos auch den Höhepunkt des Albums. Nicht alle Kompositionen reichen an dessen besondere Qualität heran, aber manche davon könnten zu einem Hit werden. Es wäre doch eine schöne Ironie des Schicksals, wenn ausgerechnet ein Kinderlied an den Erfolg von „Wenn jetzt Sommer wär“ anknüpfen würde.


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Erschienen bei


Oetinger Media GmbH

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 4/5


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Pohlmann

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