01.10.2021


Mai Cocopelli: „Floh im Ohr“



Gekonnter Brückenschlag zwischen Klassik und Kindermusik



In den Konzertsälen klassischer Orchester werden Kinder geradezu umgarnt. Unter dem Schlagwort „Musikvermittlung“ hat der sogenannte Hochkulturbetrieb teils aufwändige Programme entwickelt, um das junge Publikum zielgruppengerecht an klassische Musik heranzuführen. So ehrenhaft dieses Anliegen ist und so gut es im Einzelfall auch umgesetzt sein mag: Oft geraten die Verantwortlichen dabei unter den Generalverdacht, letztlich doch nur aus reinem Selbsterhaltungstrieb zu handeln. Die Frage, ob Kinder als eigenständige Zielgruppe mit eigenen Bedürfnissen, oder doch nur als das viel zitierte „Publikum von morgen“ angesprochen werden, dominiert die Debatte.

Mit „Floh im Ohr“ beschreitet die österreichische Kindermusikerin Mai Cocopelli einen spannenden Mittelweg zwischen Hoch- und Popkultur. Sie selbst bezeichnet die Produktion als „die Krönung ihres bisherigen musikalischen Schaffens“ – und das aus gutem Grund. Denn für dieses Mini-Album hat sie sieben ihrer beliebtesten Lieder für ein ganzes Orchester arrangieren lassen und es gemeinsam mit zahlreichen Profimusiker*innen eingespielt. Dass sich Mai Cocopelli ausgesprochen gut auf die Komposition und das Texten von ebenso einfühlsamen wie lebensfrohen Kinderliedern versteht, hat sie bereits auf einem guten Dutzend Kindermusikalben bewiesen. Die Mühe, Detailverliebtheit und Musikalität die in dieser Produktion stecken, setzen aber nochmal besondere Maßstäbe. Durch das Zusammenspiel des Oberösterreichischen Mozartensembles mit dem Kinderchor vom Landestheater Linz und der Cocopelli Family Band entstehen klanggewaltige Songs, die Kinder nicht nur zum Mitsingen, sondern vor allem auch zum aufmerksamen Zuhören einladen.

Mit einem ausschweifenden Instrumental-Intro stellt sich in „Flip Flap Zauberei“ zunächst einmal das Orchester vor. Das Lied basiert auf einem älteren Winterlied von Mai Cocopelli, wurde für diese Produktion aber so umgetextet, dass es die jungen Zuhörer*innen auf das besondere Projekt einstimmt. (»Flip Flap Zauberei, auf 1, 2, 3 bist du dabei?/ Hör gut zu und spitz dein Ohr, das Orchester spielt was vor.«) Mit großer musikalischer Geste feiert „Wir sind hier“ gleich darauf die Gemeinschaft. (»Wir fühlen uns gut und sind in unserer Kraft / wenn jeder gibt was er hat dann wird alles geschafft.«) Das Lied scheint wie gemacht für das Projekt und sorgt in dieser pompösen Umsetzung für Gänsehaut. Andere Songs wie „Floh im Ohr“, das „Piratenlied“, „1000 Klänge“ oder „Regenbogen“ sind längst Klassiker von Mai Cocopelli, erstrahlen hier aber in ganz neuem Glanz. Die Bandbreite des Orchesters reicht dabei von andächtig getragen bis hin zu virtuos verspielt. Zum Ende stellt „Ja, das klappt“, eines ihrer jüngsten Lieder, nochmals die verbindende Kraft der Musik in den Mittelpunkt und setzt so einen mitreißenden Schlusspunkt. (»Ich bin so wie ich bin, mein Herz schlägt mittendrin / so wie deins klopft auch meins im Takt / ja das klappt.«) Nach diesen sieben Titeln ist leider schon alles vorbei. Kinder, denen das Album damit viel zu kurz erscheint, können sich anschließend aber noch an den Instrumental-Versionen erfreuen, die zum beherzten Mitsingen einladen.

Mindestens so überzeugend wie die musikalische Umsetzung der einzelnen Songs, ist aber auch das musikpädagogische Konzept, das mit dieser Produktion einhergeht. Die Kompositionen wurden nämlich extra so arrangiert, dass sie nicht nur von professionellen Ensembles, sondern auch von Schulorchestern gespielt und von Kinderchören begleitet werden können. Eine Zusammenarbeit von Profis und Jungmusiker*innen ist natürlich ebenso denkbar und durchaus gewollt. Gemeinsam mit der Cocopelli Family Band kommt es dann schließlich zum Auftritt auf großer Bühne. Auch „Floh im Ohr“ ist also ein Musikvermittlungsprojekt, setzt dabei aber selbstbewusst auf die Überzeugungskraft des Kinderlieds. Die Kombination all dieser Aspekte macht das Album zu einem außergewöhnlichen musikalischen Erlebnis, das gekonnt die Brücke zwischen Klassik und Kindermusik schlägt.

Fazit: Viel zu viele Kindermusik-Produktionen beschränken sich in ihrer musikalischen Umsetzung auf einfachste Mittel. Aufwändig instrumentierte Kinderlieder sind dagegen eine echte Seltenheit. Mit dem Orchesterprojekt „Floh im Ohr“ hat Mai Cocopelli weder Kosten noch Mühen gescheut, um ein Kindermusik-Album von beeindruckender musikalischer Qualität zu realisieren. Bewusst geht die Platte auf Distanz zum Sound zeitgenössischer Pop-Produktionen und entführt Kinder so in einen für sie oft noch unbekannten musikalischen Kosmos. Die filigran ausgearbeiteten Arrangements greifen nicht nur den Inhalt der Lieder gezielt auf, sondern geben auch den einzelnen Instrumenten viel Raum. So wird das Zuhören zu einer faszinierenden Entdeckungsreise für alle Fans orchestraler Klänge – und solche, die es noch werden wollen. „Floh im Ohr“ versöhnt die Hochkultur mit der Popkultur und dient auf seine Weise als vorbildliches Beispiel für ein kindgerechtes Musikvermittlungsprogramm. Umso tragischer ist es, dass die Veröffentlichung dieser Produktion mitten in die Pandemie fiel. Live-Konzerte konnten infolgedessen nicht bzw. nur eingeschränkt stattfinden. Mai Cocopelli gibt sich aber zuversichtlich: „Ich weiß, dass die Zeit für „Floh im Ohr“ noch kommen wird. Dafür habe ich zu lange an der Entstehung gearbeitet, als dass es jetzt in der Schublade verschwinden würde.“ Wir dürfen also gespannt sein, in welchen Konzertsälen – neben klassischer Musik – in Zukunft vermehrt auch Kinderlieder zu hören sein werden.


Video




Erschienen bei


Cocopelli Music

Veröffentlicht


2020

Bewertung der Redaktion: 5/5


Künstler*in



Pressefoto "Mai Cocopelli"

Mai Cocopelli

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