15.10.2021


Julianes Wilde Bande: „Für Größer“



Mediator zwischen Eltern und Kindern



Diesem Album ging eine fast banale Beobachtung voraus: „Kinder greifen bald zur Musik ihrer Eltern. Die Sprache der Musik zu verstehen ist für sie leicht, aber wie ist es mit den Texten?“ Diese Frage stand für Juliane Wilde und ihre Band(e) im Mittelpunkt, als sie sich 2013 an die Produktion ihres bereits dritten Kindermusikalbums begaben. Dem Titel nach zu urteilen, hat „Für Größer“ die musikalischen Interessen derjenigen im Blick, die das Dasein als Kind lieber heute als morgen hinter sich lassen möchten. Mit dieser in der Gattung Kindermusik inzwischen immer häufiger anzutreffenden Zielformulierung stand Julianes Wilde Bande vor acht Jahren noch relativ allein da. Es ist allerdings weniger diese Pionierleistung, als vielmehr die gekonnte musikalische Herangehensweise der Band, die „Für Größer“ zu einem Werk von besonderer Güte macht.

Blicken wir kurz zurück: Schon im Jahr 2006 veröffentlichten die Leipziger Sängerin Juliane Wilde und ihre musikalischen Mitstreiter ihr erstes Kindermusik-Album, das den schlichten Titel „Julianes Wilde Bande“ trug. Bei einem Großteil der darauf versammelten Songs handelte es sich noch um traditionelle Kinderlieder, die von der Band ziemlich freigeistig interpretiert wurden – nicht ohne Grund trug die Produktion den Untertitel „Jazzmusik für kleine Leute“. 2011 folgte das zweite Album „Die Grüne“, auf dem sich das Verhältnis von traditionellen Kinderliedern zu Eigenkompositionen deutlich verschob. In beiden Fällen ließ das beeindruckende Niveau der beteiligten Instrumentalisten freudig überrascht aufhorchen. Nur selten ließen sich zur der Zeit professionell ausgebildete Musiker*innen dazu herab, Musik für Kinder zu machen. Julianes Wilde Bande lieferte keine Kinderlieder von der Stange, sondern verkörperte einen ausgesprochen eigenständigen künstlerischen Ansatz. Entlang dieser historischen Linie ließe sich das dritte Album „Für Größer“ als Höhepunkt und Abschluss einer musikalischen Trilogie bezeichnen. Nicht nur, weil hier vollständig auf traditionelles Liedgut verzichtet wird, sondern vor allem, weil mit der Band auch die anvisierte Zuhörerschaft älter geworden ist. Diesen Wandel hört man der Platte deutlich an.

Wie schon bei den vorangegangenen Produktionen, bilden auch hier die sanfte Stimme von Juliane Wilde und der warm-weiche Sound des von Marcus Horndt virtuos gespielten Rhodes-Piano das musikalische Fundament aller Songs. Begleitet werden die beiden von Bass und Schlagzeug. Kunstvoll veredelt werden die Lieder von Texten, die auf jeweils eigene Weise die Beziehung zwischen Kindern und Eltern in den Blick nehmen. Wie stimmig all das zusammenwirkt, zeigt sich schon im Opener „Himmel“, in dem das naturgemäß wechselhafte Schauspiel am Horizont als Sinnbild für das wankelmütige Wesen des Menschen dient. Eingebettet in ruhig fließende Klänge, bringt das Lied die Dankbarkeit für gegenseitige bedingungslose Annahme zum Ausdruck. (»Du lässt mich so sein, es zählt da kein Wort von dir / du siehst mich und staunst über den Wandel in meinem Gesicht.«) Ähnlich behutsam lässt „Geheim, geheim, geheim“ einen zarten Lichtstrahl in die verborgenen Winkel einer heranwachsenden Seele eindringen, wahrt dabei aber die gebotene Distanz zwischen Groß und Klein. (»Es ist dein dein dein, was du nun entdeckst / was dich vor Freude taumeln lässt.«) „Du willst mehr“ ist dagegen ein eher poppig-verspielter Song, der Verständnis für die überbordende Energie der aufflammenden Jugend mitbringt. (»Du willst willst mehr, als was gerade geht / und du willst willst mehr, was deine Lage echt erschwert.«) „Knospe“ widerum formuliert den Wunsch nach einem geschützten Rückzugsraum und entwickelt sich von einer freundlichen Bitte zu einer eindringlichen Appell, der mit verzerrten Gitarrenklängen auch eine lautstarke musikalische Entsprechung findet. (»Ich sehe tief in mir, wem ich ähnlich bin / einer Knospe zart und licht, wie ein jedes Kind / das langsam und in Ruh sich reckt und streckt / und so sein eigenes Wachsen und Blühen entdeckt.«)

Es sind Textzeilen wie diese, die „Für Größer“ zu einem echten Juwel unter den Kindermusik-Alben für Heranwachsende machen. Weder werden die Kinder fürsorglich an die Hand genommen, noch als frühpubertierende Teenager umschmeichelt. Stattdessen erfüllt sich hier auf eindrucksvolle Weise die oft bemühte Begegnung auf Augenhöhe – und zwar in Wort und Klang. Das Album strotzt nur so vor Musikalität, zeugt vom Mut zu Dissonanzen, überrascht mit unerwarteten Wendungen und erfreut bisweilen auch mit ausschweifenden solistischen Parts. Folgerichtig ist das abschließende „Abschied“ auch kein Schlaflied, sondern besingt den herausfordernden Abnabelungsprozess zwischen Eltern und Kindern. „Für Größer“ macht ihn sicher nicht leichter, fördert aber die Begegnung durch Musik und bereichert vor allem das noch immer spärliche musikalische Angebot für Familien mit fortgeschrittener Anspruchshaltung.

Fazit: Die künstlerische Entwicklung von Julianes Wilde Bande weist deutliche Parallelen zum Aufwachsen eines Kindes auf. Angefangen mit traditionellen Kinderliedern, hat die Band im Verlauf von rund zehn Jahren nicht nur einen musikalischen, sondern vor allem einen inhaltlichen Wandel vollzogen. Stilistisch bewegt sich „Für Größer“ zwischen experimentierfreudigem Jazz, melancholischem Chanson und eingängigem Pop und besetzt damit eine ganz eigene Kindermusik-Nische. Wiesen die früheren Lieder noch eine erkennbare Nähe zu klassischen Spiel- und Bewegungsliedern auf, verhandelt die Texte auf diesem Album deutlich gewichtigere Themen wie Freiheit, Verantwortung und Selbstbestimmung. Sinnbildlich gesprochen positioniert es sich als Mediator zwischen Eltern und Kindern, denn es findet musikalisch wie textlich eine kluge Sprache, die für beide Seiten verständlich ist. Doch so wie Kinder die Kindheit irgendwann hinter sich lassen, hat auch Juliane Wilde ihren Lebensabschnitt als Kindermusikerin inzwischen beendet. Man darf das betrauern, denn die Qualität ausnahmslos aller Alben von Julianes Wilde Bande ist wirklich beeindruckend, die Auflösung der Band demzufolge durchaus ein Verlust. Ein Alleinstellungsmerkmal der Gattung Kindermusik ist es aber, dass gute Kinderlieder kurzlebige Trends oft selbstbewusst überdauern. Betrachtet man „Für Größer“ aus dieser Perspektive, offenbart sich das Album als Teil eines zeitlosen Gesamtkunstwerks. So macht dann auch der mehrsprachig vorgetragene Hidden Track „In einem kleinen Iglu“ wieder Sinn, der nahtlos an das frühe, eher kleinkindliche Schaffen der Band andockt. Es schließt sich ein Kreis, das Spiel beginnt von vorn. Aus Kindern werden Eltern neuer Kinder – und auch die dürfen sich auf die Lieder von Julianes Wilde Bande freuen.


Video




Erschienen bei


Kick the flame

Veröffentlicht


2013

Bewertung der Redaktion: 5/5


Bewertung der Leser*innen: 5/5


Ein Kommmentar



15.10.2021 17:33

Juliane



Lieber Thomas.

Ich bin sehr berührt von deinem Blick auf, deinem Hören von, deinen Worten zu unserer Musik und unserem Anliegen. So, wie mein Herz für die Kinder und ihre Eltern schlägt, so schlägt auch deins. Ich spüre es in deiner Arbeit.

Ich danke dir für alles, was wir gemeinsam gegangen sind. Und ich wünsche dir von Herzen alles Gute! Mama lauter!, dass es alle erreicht, die auf Empfang sind!

Auf bald, will ich gern sagen! Und– ich sage es!

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