01.01.2021


„Giraffenaffen 4 - Winterzeit“



Besinnlichkeit mit der Brechstange



Nach drei erfolgreichen Compilations, die der immer gleichen Idee folgten (Stars aus der Musikszene singen ihre Lieblingskinderlieder), verspürten die Macher*innen der Giraffenaffen offenbar den Drang nach Veränderung. Das nimmt man erstmal frohlockend zur Kenntnis, denn in der Tat drohte das bewährte Konzept in Belanglosigkeit abzudriften. Die neue Idee (Stars aus der Musikszene singen ihre Lieblingsweihnachts- und Winterlieder) klingt zwar nicht gerade nach einer preisverdächtigen Kreativleistung, hat sich im Musikgeschäft aber oft bewährt – zumindest die Verkaufszahlen betreffend. Abermals versammeln sich auf diesem Tonträger also die Pop-Poet*innen der Nation, konzentrieren sich diesmal aber voll und ganz darauf, wohlige Wärme und weihnachtliche Vorfreude zu verbreiten.

Standardmäßig wird die Compilation mit einer Neukomposition eröffnet, diesmal mit „Das muss wohl der Winter sein“, schmachtend interpretiert vom Elektropop-Duo Glasperlenspiel, das bei seinen Hörer*innen eine geheimnisvolle Erwartungshaltung aufbaut: »Irgendwas ist plötzlich anders / wie ein Lied das man zum ersten Mal hört / irgendwas wird geschehen, etwas richtig Schönes.« Ungeachtet der musikalischen Umsetzung dieses Openers, machen diese Zeilen neugierig auf das, was uns in den kommenden 14 Songs erwarten wird. Es sind, das dürfte niemanden überraschen, Cover-Versionen bekannter Weihnachtslieder – und einige davon sind sogar durchaus gelungen.

Mark Foster zum Beispiel hat sich den Klassiker „Jingle Bells“ zur Brust genommen und swingt sich zu eben diesen Glöckchen fröhlich durch den Schnee. Die Band Marquess hat sich am umfassenden Œuvre von Rolf Zuckowski bedient und wagt sich an eine mutige Neuinterpretation von „Und Frieden für die Welt“, die sie mit viel Getrommel anreichert. Die Sängerin Namika hat „Rudolf, das kleine Rentier“ in eine Elektroswing-Version verwandelt und auch dem The Voice Kids-Emporkömmling Noah-Levi gelingt es, das frühbarocke Stück „Ach, bittrer Winter“ auf interessante Weise in die Gegenwart zu überführen. Doch bekanntlich steht die Sonne im Winter tief und wirft besonders lange Schatten.

Mit anderen Worten: In weiten Teilen wartet diese Produktion mit verstörenden Experimenten auf. Die von Lena Larissa Strahl gehetzt vorgetragene und völlig überproduzierte Version von „Lasst uns froh und munter sein“ strengt fürchterlich an. Völlig ratlos lässt mich auch Wincent Weiss mit seinem Beitrag zurück. Bei dem ehemaligen DSDS-Teilnehmer hat „Der kleine Trommler“ sein Drumset gegen stumpfe Elektro-Beats eingetauscht, kann aber auch Panflöte spielen. Eine überaus skurrile Mischung. Andere Interpret*innen schießen vollkommen über das Ziel hinaus. Zwar gibt sich zumindest Annett Louisan noch glaubhaft Mühe, dem Lied „Leise rieselt der Schnee“ neue Seiten abgewinnen zu wollen. Was Yvonne Catterfeld, Alexa Faser oder Oonagh abliefern klingt jedoch derart überambitioniert, dass einem der Christstollen im Halse stecken bleibt. Glasperlenspiel lassen mit „Stille Nacht“ sogar ihre zweite Chance ungenutzt, einen relevanten Beitrag zu dieser Produktion beizusteuern. Unterm Strich klingt die Platte, als wolle sie Besinnlichkeit mit der Brechstange erzeugen. Ein ausgesprochen ambitioniertes Vorhaben das zum Scheitern verurteilt ist.

Fazit: Bei genauer Analyse dieser Compilation fällt auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der beteiligten Interpret*innen das Licht der Bühne zum ersten Mal im Rahmen einer Casting-Show erblickte. Viele davon genießen den zweifelhaften Ruf, kaum mehr als Recruiting-Lager für die Musikindustrie zu sein. Der wiederum wird vermehrt unterstellt, die Inhaltsleere von Schlager mit „freshen“ Beats zu kaschieren, um das Ergebnis, getarnt mit dem Label Popmusik, möglichst gewinnbringend unter das Volk bringen zu können. Neo-Schlager wird das Ergebnis genannt. Gezielt führt „Winterzeit“ schon die jüngste Zielgruppe an diese perfide Marktlogik heran – und uns Erwachsenen vor Augen, woran ein Großteil der deutschsprachigen Musikkultur krankt: Es mangelt ihr an künstlerischer Überzeugungskraft. Doch ist das die Art von Musikkultur, die wir unseren Kindern vermitteln möchten? Auf diese Frage sollten Eltern eine Antwort gefunden haben, bevor sie zu dieser Produktion greifen. Läge der Schnee im Winter auch noch so hoch: Nur die wenigsten Beiträge auf dieser Platte würden darin nachhaltige Spuren hinterlassen. Erst „Santa Lucia“, ein vom Tingvall-Trio vorgetragenes Instrumentalstück, besticht als letzter Beitrag auf der Compilation tatsächlich durch Musikalität. Bis dahin sind die meisten Kinder aber hoffentlich längst vom Schlitten gestiegen.


Video




Erschienen bei


Universal Music GmbH

Veröffentlicht


2014

Bewertung der Redaktion: 2/5


Herausgeber*in



Giraffenaffen

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft