Albumcover Griffelknopf
28.01.2022


Griffelknopf: „Griffelknopf“



Weniger ist mehr!



Als ich vor etlichen Jahren zum ersten Mal auf die 1988 erschienene Platte „Tears of Joy“ von Tuck & Patti aufmerksam wurde, war ich sofort begeistert. Durch die bewusste Reduktion auf die Kombination von virtuosem Gitarrenspiel und hingebungsvollem Gesang vermittelte das Duo auf seinem Debutalbum eine musikalische Intensität und Intimität, die ich bis dahin so nicht gehört hatte. Gerne werden Vergleiche zu Ella Fitzgerald und Joe Pass bemüht, um diese außergewöhnliche Paarung zu würdigen. Über die Zeit habe ich natürlich weitere vergleichbare Acts kennengelernt. Mit Griffelknopf ist mir allerdings erst jetzt ein Duo untergekommen, das eine ähnliche Herangehensweise auf das Kinderlied zu übertragen versucht und dabei doch eine ganz eigene Handschrift mitbringt.

Um diese Handschrift entziffern zu können, ist der Blick auf den musikalischen Werdegang der zwei Musiker*innen hilfreich. Anna Stijohann absolvierte ein Schulmusikstudium mit dem Hauptfach Jazz- und Popgesang an der Musikhochschule Köln. Als ausgebildete Sängerin bringt sie viel Professionalität und Bühnenerfahrung mit, als Gesangslehrerin das richtige Gespür für ein gut austariertes Verhältnis zwischen musikpädagogischem und künstlerischem Anspruch. Gereon Stefer machte seine ersten musikalischen Gehversuche bereits im frühen Kindesalter, damals allerdings noch am Cello. Als Jugendlicher entdeckte er schließlich seine Leidenschaft für das Gitarre spielen und hat seitdem auch nicht mehr damit aufgehört. Vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrungen überblickt er einen weiten stilistischen Horizont, der sich von alter Musik bis hinüber zu modernen Kompositionen erstreckt. Was im Zusammenspiel dieser individuellen Talente entsteht, bezeichnen Griffelknopf selbst als „erwachsene Musik mit kindgerechten Themen“. Und was genau sie darunter verstehen, legen sie auf ihrem bereits 2018 erschienenen Debutalbum offen.

Der besondere künstlerische Clou von Griffelknopf besteht darin, dass fast alle ihre Texte auf Gedichte zurückgehen. Den in der Wortkunst angelegten Rhythmus überträgt das Duo also in Gesangsmelodien, den lyrischen Aufbau in das vertraute Wechselspiel von Strophe und Refrain. Auf diese Weise entstehen Lieder wie „Das Wölkchen“, das im Text Joachim Ringelnatz zitiert und in seiner musikalischen Umsetzung ein wenig an den Stil von Django Reinhard erinnert. Das im Vergleich dazu eher romantisch angelegte Lied „Das große Karussell“ basiert auf einem Text von Richard Dehmel, der zusammen mit seiner Frau Paula Dehmel schon Ende des 19. Jahrhunderts für Kinder schrieb und als Vorreiter für das antiautoritäre Kindergedicht gilt. Auch „Die Schaukel“ geht auf ein Gedicht von ihm zurück, wird hier aber mit einem zweiten Werk von Heinrich Seidel kombiniert. Mit schwungvoller Leichtigkeit gehen die im Abstand mehrerer Jahrzehnte entstandenen Texte in diesem Lied eine stimmige Symbiose ein. Deutlich verspielter erzählt „Die Fliege“ (Fritz Senft) dagegen vom Umgang mit den summenden Quälgeistern. „Sommer“ (Ilse Kleberger) wiederum entführt Kinder wie Erwachsene binnen Sekunden in die unbeschwerte Gefühlswelt der wohlig warmen Jahreszeit.

Wenig überraschend, dass die Texte bei Griffelknopf eine sprachliche Komplexität vorweisen, die wir in Kinderliedern eher selten zu hören kriegen. Nicht kindliche Alltagserfahrungen stehen hier im Mittelpunkt, sondern vergleichsweise abstrakte, poetische Bilder, die Kinder zum genauen Hinhören, wie auch zum Phantasieren und Schwelgen einladen. Dieser Anspruch setzt sich auch in „Schubsengel“ und „Ich sitze in einer Seifenblase“ fort, den einzigen Eigenkompositionen des Duos auf der Platte. Ihren Schlusspunkt findet die Produktion schließlich mit dem schon vor über 20 Jahren von Konstantin Wecker auf seinem Kindermusik-Album „Es lebte ein Kind auf den Bäumen“ veröffentlichten Lied „Weil du mich magst“. In der hier vorliegenden Version bekommt der Song eine bezaubernde Tiefe, mit der er dem zeitlosen Charakter des Originals ins nichts nachsteht. Klar ist all das ziemlich weit von zeitgenössischer Popmusik entfernt. Gerade diese künstlerische Eigenständigkeit zeichnet die musikalische Arbeit des Duos aber aus.

Fazit: In insgesamt zwölf Liedern machen Griffelknopf vor allem jungen Zuhörer*innen ein leises, dafür aber umso wirkmächtigeres musikalisches Angebot. Dabei lautet das Motto: Weniger ist mehr! Für ihr Album haben Anna Stijohann und Gereon Stefer kleine lyrische Schätze gehoben, die sie mit wenig Hilfsmitteln, dafür aber im gekonnten Zusammenspiel ebenso kunstvoll wie kindgerecht darbieten. Gerade weil die Kombination aus Gitarre und Gesang in der Gattung Kindermusik so häufig anzutreffen ist, muss die professionelle Umsetzung hier besonders betont und gewürdigt werden. Was Griffelknopf tun, hebt sich wohltuend vom Eifer wohlmeinender Musikant*innen ab und gewinnt genau dadurch musikpädagogische Qualität. Sicherlich bedarf dieses Album eines geeigneten, ruhigen Rahmens, damit sich Kinder auch darauf einlassen können. Ist der aber erst einmal geschaffen, lädt es sie zu einer spannenden Entdeckungsreise in die Welt von Klang und Poesie ein. Nachweislich bringen gerade junge Kinder eine große Offenheit für musikalische Vielfalt mit. Kindermusiker*innen stehen in der Verantwortung, dieser Offenheit mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit zu begegnen. Das schließt den Spaß und die Freude am Musizieren keinesfalls aus, verpflichtet aber auch zu Anspruch. Bei Griffelknopf steckt die Ernsthaftigkeit in der Musikalität, die bei allem erkennbaren Können nie verkopft daherkommt und gerade deshalb viel Freude bereitet.

Erschienen bei


M!4Kids

Veröffentlicht


2018

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Pressefoto Griffelknopf

Griffelknopf

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft