Albumcover "Gru, gru, gruselig"
14.10.2022


Corinna Bilke: „Gru, gru, gruselig“



Grusical mit Gänsehaut



Dass sich Corinna Bilke und ihre Band hervorragend auf die Komposition und professionelle Darbietung von Kinderliedern verstehen, das müssen sie längst niemandem mehr beweisen. Seit über zehn Jahren tummelt sich die Münsteraner Sängerin mit ihren musikalischen Mitstreitern inzwischen in der Gattung Kindermusik. Drei Alben hat sie in dieser Zeit veröffentlicht, mit denen sie sich konsequent auf das Konzept „Singen für Zwei“ und damit auf die Idee fokussierte, Eltern zum gemeinsamen Singen mit ihren Kindern zu inspirieren. Dabei griff sie allerdings nicht auf die üblichen Kinderlied-Schemata zurück, sondern entführte junge Familien ebenso behutsam wie experimentierfreudig in die Welt der Jazzmusik. Sechs Jahre liegt die letzte Produktion inzwischen zurück. Pünktlich zu Halloween legt Corinna Bilke nun endlich ein neues Werk vor und wagt damit den Schritt in ein für sie völlig neues Hörgenre – „Gru, gru, gruselig“ ist nämlich ein musikalisches Hörspiel für Kinder geworden.

Als akustisch dramatisierte Inszenierungen von Geschichten gelten Hörspiele als die Königsdisziplin der Audioproduktion. Das gilt umso mehr, wenn es sich dabei um ein musikalisches Hörspiel handelt, bei dem die von mehreren Sprecher*innen vorgetragene Handlung nicht nur mit Geräuschen und Klängen, sondern eben auch noch mit Lieder angereichert wird. Anders als bei einem klassischen Album stehen die Songs dann nicht mehr für sich allein, sondern haben sich (zumindest inhaltlich) der Geschichte unterzuordnen. Im vorliegenden Fall erzählt diese von dem Mädchen Mira das sich an einem warmen Frühlingstag auf den Weg in den Wald macht, um das Schloss Schönstein zu besichtigen, stattdessen aber im Schloss Schleimstein landet. Wie es sich für einen so mysteriös klingenden Ort gehört, wird der von allerlei seltsamen Gestalten bewohnt. Anders als man es vielleicht erwarten würde, sind die Gespenster, Vampire und Skelette in diesem Schloss aber alles andere als gruselig, sondern entpuppen sich vielmehr als irgendwie schrullige, teils überdrehte und durchaus liebenswerte Charaktere. Die vielen Figuren machen den Verlauf der Geschichte fast ein bisschen unübersichtlich, doch einen richtigen Spannungsbogen sucht man hier ohnehin vergebens. Vielmehr erzeugt Corinna Bilke eine schaurig-schöne Grundstimmung, in die sie humorvoll dargebotene Szenen einbettet. Anekdoten vom Gruselwettbewerb, vom Gruseltanz sowie aus der Gruselküche liefern die Vorlage für insgesamt sieben Lieder, in denen Bilke und ihre Band ihre musikalischen Stärken wieder voll ausspielen.

Die ersten Titel kommen dabei noch vergleichsweise vertraut daher. Fröhlich nimmt „Fabelhafte Fabelwesenwelt“ die Kinder an die Hand, um sie in das phantasievolle Universum der Geschichte eintauchen zu lassen. Tänzerisch würdigt „Dunkelheit ist schön“ dann die Vorzüge der Nacht. Der Titelsong „Gru, gru, gruselig“ stellt danach nicht nur die Protagonist*innen aus der Geschichte vor, sondern bietet auch dem Pianisten Stefan Nagler Raum für ein ausgiebiges Solo. Mit lautmalerischem Text, funky aufspielendem E-Bass und verzerrtem Synthesizer-Solo dringt „Nie wieder duschen“ dann in eine deutlich modernere Spielart von Jazzmusik vor. Die sich anschließende Uptempo-Nummer „Gruseltanz“ hat fast schon den Charakter eines Popsongs, während „Köchin aus Leidenschaft“ im stetigen Wechsel zwischen Straight- und Swing-Rhythmus einen Blick in die Töpfe der Gespensterküche gewährt. Jeder Song hat seinen eigenen Charakter und fügt sich doch organisch in das große Ganze ein – nicht zuletzt auch dank der sauber intonierten Gesangsstimme von Corinna Bilke. So punktet dieses Musikhörspiel also vor allem durch seine Lieder und die wieder einmal lustvoll aufspielende Band. Im Vergleich zu ihren früheren Werken führen die Musiker*innen ihre jungen Zuhörer*innen an eine noch größere stilistische Bandbreite heran. Dass dieses musikpädagogische Konzept in der Geschichte selbst mit keiner Silbe erwähnt wird, macht vielleicht die größte Stärke dieses Hörspiels aus. Wie selbstverständlich wird es mit Jazzmusik ausgeschmückt, ohne belehrend davon zu erzählen.

Fazit: Eltern, die in Sorge geraten, dass dieses Musikhörspiel ihre Kinder zu sehr verschrecken könnte, dürfen beruhigt sein: „Gru, gru, gruselig“ verbreitet einen der Zielgruppe absolut angemessen, äußerst harmlosen Schauer. Schloss Schleimstein dient als phantasievolle Kulisse für eine professionell produzierte, bisweilen jedoch leider etwas konfus geratene Geschichte. Wenn am Ende das Lied „Die Welt wird bunt durch jeden von uns“ erklingt, wartet die Erzählung mit einer überraschenden Moral auf, die sich nicht so recht in das Gesamtgefüge einfinden möchte. Folglich mag Corinna Bilke nicht unbedingt das beste Musikhörspiel aller Zeiten gelungen sein. Ihre Produktion steht aber exemplarisch für das bemerkenswerte Engagement, das wir in der Kindermusikszene häufig vorfinden können. Nicht nur für Komposition und Gesang, sondern auch für Idee, Text, Regie, Produktion und nicht zuletzt die Rolle als Erzählerin zeichnet sie sich verantwortlich. Das übrige Sprecher*innen-Ensemble ist mit dem Schauspieler Christoph Tiemann und Musiker*innen wie Alin Coen, Keshav Purushotham oder den Donots durchaus prominent besetzt. Und ergänzend zur CD kommt das Hörspiel sogar noch mit einem detailreich illustrierten Wimmel-Leporello daher, das visuell etwas Übersichtlichkeit in die teils verworrene Geschichte bringt. Damit sorgt „Gru, gru, gruselig“ weniger durch seine gespenstische Stimmung, sondern vielmehr durch den Enthusiasmus und die spürbare Sorgfalt aller Beteiligten für Gänsehaut.


Video




Erschienen bei


Singen für Zwei

Veröffentlicht


2022

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Pressefoto Corinna Bilke

Corinna Bilke

Ein Kommmentar



01.09.2023 18:22

MusikMama



Ab welchem Alter können sich Kinder pädagogisch vertretbar mit dieser Musik gruseln?

Es wäre prima, wenn überall eine Altersempfehlung gegeben würde.

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