01.01.2021


Deine Freunde: „Helikopter“



Überzeugendes Family-Entertainment



Noch immer ist es unter einigen Rappern gute Sitte, sich gegenseitig zu „dissen“. Deine Freunde drehen den Spieß um und dissen gleich zu Beginn des Albums „Helikopter“ ihre nervigen Widersacher: (»Das ist alles viel zu albern, das ist keine Kunst / hör mal auf die zu hören, hör doch mal auf uns.«) ("Wieder deine Freunde") Nach so einem Einstieg ist man praktisch über jede Kritik erhaben. Aber wenn es sich eine Band erlauben darf auf die Meinung anderer zu pfeifen, dann sicher Deine Freunde. Die Jungs haben Kindermusik professionalisiert und in der Wahrnehmung vieler aus der Bedeutungslosigkeit geholt. In acht Jahren haben sie nicht nur unzählige Kinder für ihre Musik begeistert, sondern deren Eltern oft gleich mit. Wenn man so will, sind Deine Freunde längst Mainstream – eine Zuschreibung, die in diesem Fall tatsächlich als Würdigung gemeint ist. Denn in der Gattung Kindermusik kann das bislang keine andere Band von sich behaupten.

Es überrascht also nicht, dass auch das fünfte Album „Helikopter“ auf ganzer Linie überzeugt. Aus Hip-Hop, Pop, Elektro und Techno zimmern sich Deine Freunde ein musikalisches Fundament, auf dem sie Kindern absolut glaubhaft begegnen. Davon zeugen Songs wie „Cheese“ (ja, gemeint ist die nervige Aufforderung zum Lächeln vor der Kamera), „Aua“ (erstaunlich, wie viel Groove die Aneinanderreihung schmerzlicher Alltagserfahrungen entfalten kann) oder das atmosphärisch dichte „Saymalaise“. Ab und an fühlt sich die Band offenbar auch musikalischer Stilbildung verpflichtet. So stellt Rapper Flo in „April April“ sein Talent als Falco-Double unter Beweis, die düstere Anmutung von „Die Sirene“ (gemeint ist Babygeschrei) konterkariert in schleppendem Beat den Sound von der Straße. „Früher war alles besser“ ergreift dann auch noch in aller Deutlichkeit Partei für die jüngste Generation. Das klingt alles rund, intelligent und macht zudem auch noch jede Menge Spaß.

Und doch hat dieses Album neben vielem Bewährten auch etwas Neues zu bieten. Denn deutlich mehr als sonst wird auf „Helikopter“ auch die Perspektive von Eltern hörbar. Das beginnt bei dem kurzen Intermezzo „Das Lied vom Abholen“, führt weiter über das latent resignierte „Elternvertreterwahl in der Kita“ und gipfelt in „Kater vs. Vollzeitrausch“, das ebenso ehrliche wie romantisch-verklärte Worte über die Lebensrealität junger Eltern findet. (»Du gehörst mir nicht, aber wir gehören zusammen / erklär ich dir dann später alles irgendwann.«) Auf einem Album, das sich mit dem Label „Kindermusik“ schmückt, wirkt das zunächst irritierend. Im Gesamtkontext funktioniert das aber überraschend gut. Alle reden von Family-Entertainment, Deine Freunde machen es einfach.

Überhaupt stellt sich die Band sehr breit auf, ohne dabei in Beliebigkeit abzudriften. Das liegt vor allem an DJ Pauli, der sich in erster Linie für die musikalische Umsetzung verantwortlich zeigt. Jeder Song hat seine eigene Klangwelt, freigeistig bedient sich Pauli dabei immer wieder auch an verschiedensten musikalischen Vorbildern. Letztlich stehen seine Beats aber ganz im Dienst der Sprachkunst. Wenn Rapper Flo im Flow zu den Beats ist, hat die Platte ihre stärksten Momente. Der Gesang von Lukas bereichert die Songs vor allem dann, wenn sich gerappte und gesungene Parts flink die Bälle zuspielen.

Fazit: Vor allem sprachlich steckt in „Helikopter“ wahnsinnig viel Ideenreichtum. Das kennzeichnet Hip-Hop und macht ihn für viele so interessant, für manche aber auch unerträglich. Das ist und bleibt eine Frage von individuellen musikalischen Vorlieben. Deine Freunde müssen auf diesem Gebiet aber niemanden mehr überzeugen. Umso entspannter lassen sie sich auf diesem Album in ihre musikalische Arbeit fallen und brechen (wieder einmal) lustvoll mit den Regeln ihrer Zunft. Sind das jetzt kindliche Lieder für Erwachsene, oder erwachsene Lieder für Kinder? Die Antwort auf diese Frage liefert vielleicht der letzte Song der Platte. In „Noch nicht fertig“ singt ein Chor aus Kindern und Erwachsenen zu psychodelischen Elektro-Sounds: »Wir bleiben in Bewegung / wir haben noch lang nicht alles gesehen / wir kommen voran und wir bleiben stehen / auf der Suche nach der Antwort wer wir sind / noch nicht fertig und ganz bestimmt / für immer ein kleines Kind.« Spätestens diesem Song gelingt der Schulterschluss zwischen den Generationen.


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Erschienen bei


Sturmfreie Bude / Universal Music GmbH

Veröffentlicht


2019

Bewertung der Redaktion: 5/5


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Pressefoto "Deine Freunde"

Deine Freunde

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