05.11.2021


Kid Clio: „Highfive!“



Kinderlieder: Jetzt auch in pink!



Na bitte! Nachdem bereits zahlreiche Männer aus dem Pop-Business das Feld Kindermusik beackern, gesellt sich nun endlich auch eine prominente Kollegin zu ihnen. Hinter Kid Clio verbirgt sich nämlich das Alter-Ego der Sängerin Leslie Clio, die mit ihrem eigenwilligen Stilmix aus Pop und Retro-Soul seit fast zehn Jahren recht erfolgreich und auch künstlerisch durchaus überzeugend unterwegs ist. Bereits vor knapp einem Jahr erschien ihre erste EP „Heute bin ich faul“, mit der sich die Sängerin als neues Pop-Idol für sogenannte Pre-Teens ins Spiel brachte. „Highfive!“ ist nun der ambitionierte Versuch, die Brücke zwischen Kindermusik und soulig angehauchtem Pop auf Albumlänge auszubauen. Von welcher künstlerischen Beschaffenheit ist dieses Werk?

Wie im Grunde alle Menschen, die Kinder ins Visier ihrer künstlerischen Arbeit nehmen, strebt auch Kid Clio mit „Highfive!“ eine um Authentizität bemühte Begegnung auf Augenhöhe an. Das klingt zwar abgedroschen, verliert als Anspruchshaltung aber trotzdem nicht an Gültigkeit. Umso spannender ist die Frage nach dem gewählten Weg zum erklärten Ziel. Kid Clio beschreibt ihn so: „Ich habe auf diesem Album einfach die Musik gemacht, die ich heute als Kind gerne hören wollen würde.” Um den Kids von heute glaubwürdig zu begegnen, hat sich die erwachsene Leslie Clio also mit ihrem achtjährigen Ich verabredet. Laut dem Opener „Pyjamarama“ besteht dessen dringlichster Wunsch offenbar darin, zu dumpf wummernden Beats und einer verzerrten Stimme, die auf unangenehme Weise an den Duktus eines Rekommandeurs vom Rummelplatz erinnert, ordentlich abzuraven. (»Heute gibt’s hier Kinder-Rave / elternfrei – ole, ole.«) Mit üblicher Animationslyrik greift der erste Song also gleich mal eines der gängigsten Kindermusik-Klischees auf.

Viele weitere Titel widmen sich ähnlich unverfänglichen Themen. Es geht um Freundschaft („Meine beste Freundin“ feat. Amanda), Krankheit („Dr. Hatschi“ feat. Deine Freunde) oder gesunde Ernährung („Der Gemüsesong“ feat. herrH). Wo substantielle Botschaften knapp sind, muss also prominente Unterstützung helfen. Auch Songs wie „Mama, gib Taschengeld!“ oder „Ich will kuscheln“ gewinnen nicht unbedingt einen Preis für inhaltlichen Ideenreichtum, bemühen sich aber zumindest musikalisch um eigenwillige Akzente. Wirklich organisch fügen sich die Trap- und Punkrock-Einflüsse jedoch nicht in das Album ein. Hinsichtlich stilistischer Bandbreite schießt „Mama oh Mama“ ohne Zweifel den Vogel ab. Die liebevolle Lobhudelei auf alle Mütter würde einer Sängerin wie Helene Fischer deutlich besser zu Gesicht stehen. Und welchen Mehrwert hat eigentlich das noch hinter dem Outro geparkte Winterlied „Schneeflöckchen“? Es bleibt weitestgehend unergründlich, wo genau sich Kid Clio mit diesem Stilmix künstlerisch zu positionieren versucht.

In Abgrenzung dazu wirken Songs wie „Fühl mich so gut“, „Mein Traumhaus“, “Heute bin ich faul” oder „Is mir egal“ deutlich überzeugender. In der Kombination aus sanften Elektro-Sounds, treibenden Beats und gezielt eingesetzten Samples entstehen hier charakterstarke Klangflächen, die eine erkennbare Nähe zum künstlerischen Schaffen von Leslie Clio aufweisen. Inhaltlich werden diese Lieder nicht mit bemüht kindgerechten Erzählungen angereichert, sondern sind deutlich stärker von einer Haltung geprägt, die zu Selbstbestimmung und zielstrebigem Handeln ermutigt. (»Egal was du denkst, ich geh meinen Weg / und bevor ich nicht ankomm, komm ich lieber zu spät.«) Während dieser wenigen Songs schimmert das volle Potential von Kid Clio durch. Ob es Zufall ist, dass sie allesamt bereits auf der vor einem Jahr veröffentlichten EP zu hören waren? Der Rest des Albums wirkt dagegen eher wie gestreckte Füllmasse, die mehr gewollt als gekonnt hinzugefügt worden zu sein scheint. In der Summe ist die im Pressetext postulierte Vielfalt, die sich „frei über Genregrenzen hinweg bewegt“, mit der Zuschreibung „musikalische Beliebigkeit“ erheblich treffender erfasst.

Fazit: Es lässt sich nur darüber spekulieren, warum Leslie Clio nun auch Kindermusik macht. Möglich, dass diesem Album der Wunsch nach Rekapitulation ihrer musikalischen Vorlieben aus der eigenen Kindheit zugrunde liegt. Wer sich allerdings intensiver mit Medieninhalten für Kinder beschäftigt, der weiß, dass dieser Ansatz in der Regel zu kurz greift. Selbst eine Kindheit erlebt oder auch erlitten zu haben qualifiziert noch niemanden dazu, sie künstlerisch so zu verarbeiten, dass Kinder von dem Ergebnis tatsächlich profitieren können. „Highfive!“ ist deswegen zwar nicht vollends missglückt, bleibt aber weit unter den hier offensichtlich vorhandenen Möglichkeiten. Neben dieser Kritik hat das Album allerdings auch ein ausdrückliches Lob verdient. Denn leider gibt es bislang nur sehr wenig Frauen, die mit musikalischer Erfahrung und professionellem Anspruch das Feld der Kindermusik betreten und dabei auch noch gezielt Mädchen anzusprechen versuchen. Kid Clio tut es. Und auch wenn sie dabei auf das ein oder andere Klischee zurückgreift, nimmt man ihr die Rolle als gute Freundin durchaus ab. Ob selbstgewählte Zuschreibungen wie „Pippi Langstrumpf 2.0“ oder „Rotzgören-Musik“ den Kern von „Highfive!“ angemessen erfassen, das sei mal dahingestellt. Mindestens für ihren Mut, sich selbstbewusst als Musikerin für weibliche Pre-Teens aufzustellen, gebührt Kid Clio aber Anerkennung. Gut möglich, dass sich viele junge Mädchen von „Highfive!“ perfekt abgeholt fühlen werden. In einer idealen Welt würde Kindermusik ihnen aber mehr Anknüpfungspunkte bieten, um selbstbewusst über sich hinaus zu wachsen. Vielleicht ist dieses Manko das deutlichste Indiz dafür, dass wir es hier mit einer Form von Kindermusik zu tun haben, die subtil den Regeln des Gender-Marketings folgt. Getreu dem Motto: Kinderlieder, jetzt auch in pink!


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Erschienen bei


Karussell/Universal Music GmbH

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Kid Clio

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