30.07.2021


„Hits für Kids auf Reisen“



Alter Wein in neuen Schläuchen



Compilations sind ein zweischneidiges Schwert. Das Prinzip der Zweitauswertung einzelner Titel, gebündelt auf einem Tonträger, ist seit etlichen Jahren und über alle Genregrenzen hinweg ein wirtschaftliches Erfolgsmodell. Demzufolge spielt es auch in der Gattung Kindermusik eine durchaus gewichtige Rolle. Den Musikmarkt für Kinder dominieren gefühlt unzählige Veröffentlichungen mit den besten Spiel- und Bewegungsliedern, den schönsten Schlafliedern, den tollsten Partyliedern, Wissens- und Lernliedern, Kirchenliedern, TV-Serienliedern, Urlaubsliedern, Mutmachliedern, Märchenliedern, Weihnachts- und Osterlieder oder Liedern zu den vier Jahreszeiten. Doch leider kann man kaum einer dieser Produktionen guten Gewissens nachsagen, dass sie sich das Ziel musikalischer Stilbildung auf die Fahnen geschrieben hätte. Für geschmackssichere Eltern sind sie in aller Regel eine akustische Zumutung.

Wenn sich aber plötzlich das Hamburger Indie-Label Tapete Records auf diesem Spielfeld tummelt, lässt das ebenso irritiert wie gespannt aufhorchen. Mit Künstlern wie Peter Licht und Max Goldt, oder Bands wie Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen steht das Haus für Innovationen und Qualität abseits des musikalischen Mainstreams, hat um Kindermusik bislang aber einen weiten Bogen gemacht. Nun hat es unter dem Projektnamen Keks und Kumpels bereits die vierte themenzentrierte Compilation mit Kinderliedern veröffentlicht. Nach „Hits für Kids mit Tieren“, „Hits für Kids im Winter“ und „Hits für Kids zum Lachen“, bemüht sich „Hits für Kids auf Reisen“, passend zu den Sommerferien, einem völlig totgerittenen Konzept neues Leben einzuhauchen. Kann das wirklich gelingen?

Musikalisches Mastermind hinter Keks und Kumpels ist der Labelgründer Gunther Buskies, der für diese Produktion zahlreiche, aus den eigenen Reihen rekrutierte Musiker*innen (wie zum Beispiel Bernd Begemann oder Andreas Dorau) um sich schart. Allein diese Tatsache lässt auf einen Ansatz schließen, der musikalische Qualität höher bewertet, als es die meisten artverwandten Veröffentlichungen tun – und tatsächlich klingen viele der Lieder deutlich weniger synthetisch, als wir es von anderen Kindermusik-Compilations gewohnt sind. Der Sound ist deutlich rauer. Elektrische Gitarren, eine Hammondorgel und bisweilen sogar Blasinstrumente lockern den akustischen Unterbau interessant auf. Rein klanglich sind der Produktion ihre Indie-Wurzeln also durchaus anzuhören.

Beim Blick auf die 20 Titel umfassende Tracklist stechen aber sogleich zahlreiche volkstümliche Kinderlieder ins Auge. Ob die Welt tatsächlich noch auf weitere Neuinterpretationen von Liedern wie „Jetzt fahrn wir übern See“, „Auf den schwäbschen Eisenbahnen“, „Hab ne Tante aus Marokko“, „Ri, Ra, Rutsch, wir fahren mit der Kutsch“ oder „Das Wandern ist des Müllers Lust“ gewartet hat, darf bezweifelt werden. Zwar gesellen sich auch viele Neukompositionen zu den benannten Titeln, doch auch für diese neuen Songs definieren die Klassiker den Maßstab: Klare Strukturen, einfache Texte und fortlaufende Wiederholungen sind die wesentlichen Merkmale fast aller Lieder. So beschränkt sich der Opener „Fünf große Trucks“ darauf, den Kindern das Zählen beizubringen. Auch „Die Reise durch das Alphabet“ zielt auf pädagogisch wertvolle Lerneffekte ab. Ansonsten haben die meisten Lieder mit dem Thema Reisen nur insofern zu tun, als dass sie Bezüge zu allerlei Verkehrsmitteln herstellen. Zuhauf werden Autos, Busse, Züge, Schiffe, Fahrräder oder auch Kutschen besungen. Konkrete Reiseerlebnisse verlieren sich in einem Song wie „Rund um die Welt“ dagegen in eher schlichten Plattitüden. (»Rund um die Welt / weil es uns gefällt.«) Mit „Schornsteinfeger ging spazieren“ covern die Musiker*innen sogar ein Lied von Simone Sommerland, Karsten Glück und den Kita-Fröschen, eine Formation, die mit der Reihe „Die 30 Besten“ den Ruf von Kindermusik-Compilations in den letzten zehn Jahren endgültig ramponiert hat. Über weite Strecken stehen Keks und Kumpels diesen zweifelhaften Vorbildern in nichts nach. Lediglich „Der Busfahrer“ atmet zaghaft den Geist von Rock’n’Roll. „Noch geht der Koffer zu“ weckt sogar Erinnerungen an „Should I stay or should I go“ von The Clash. Derlei versöhnliche Momente bleiben bei dieser Produktion aber leider die Ausnahme.

Fazit: Kindermusik-Compilations adressieren in der Regel Kleinkinder, eine Zielgruppe, die man musikalisch allzu leicht überfordern oder sogar verstören kann. Vor diesem Hintergrund schwingt bei aller Kritik auch Anerkennung für den Mut mit, das Projekt Keks und Kumpels überhaupt ins Leben gerufen zu haben und auch jüngeren Kindern damit ein altersgerechtes Musikangebot machen zu wollen. Jenseits seiner Herkunft aus dem Haus Tapete Records fehlt der Liedsammlung aber jegliches künstlerische Alleinstellungsmerkmal. Im Wesentlichen präsentiert „Hits für Kids auf Reisen“ alten Wein in neuen Schläuchen. Wenn im offiziellen Pressetext behauptet wird, dass sich die Produktion durch „liebevoll arrangierte und von hochkarätigen Musiker*innen mit echten Instrumenten“ eingespielte Songs auszeichnet, dann zeugt das von keiner besonders detailreichen Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Kindermusik-Szene. Nochmal zum Mitschreiben: Viele Kindermusiker*innen verstehen ihr Handwerk bestens!

Ich habe auch nicht grundsätzlich etwas gegen die Reproduktion traditioneller Kinderlieder einzuwenden. Mögen sie uns Erwachsenen auch aus den Ohren raushängen: Kindern vermitteln sie kulturelle Identität. Sie verleihen Festen und Feiertagen symbolische Bedeutung, illustrieren den Wandel der Jahreszeiten und festigen mitunter auch soziale Rollenbilder. Damit erfüllen sie eine wichtige Funktion im kindlichen Aufwachsen – auch im 21. Jahrhundert. Der Versuch, neue Klassiker im Stil volkstümlicher Vorbilder zu erschaffen, wirkt im vorliegenden Fall jedoch wenig ambitioniert. Vielleicht ist das am Ende aber auch gar nicht das Ziel dieser Compilation? Sofern es ihr nur darum gehen sollte, einen Teil des ertragreichen Kindermusik-Marktes zu erobern, stehen die Erfolgschancen wahrscheinlich gar nicht so schlecht – gerade auch, weil sich das Mutterschiff Universal Music um den Vertrieb kümmert. Diese Aufgabe übernimmt der Musikkonzern übrigens auch für die Compilation „Die 30 Besten“. Unterm Strich deutet all das nicht darauf hin, dass das Projekt Keks und Kumpels tatsächlich die musikalischen Interessen von Kindern im Blick hätte.


Video




Erschienen bei


Tapete Records/Universal Music

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 2/5


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