Albumcover "Mamamachma!"
25.05.2023


Jonny Karacho: „Mamamachma!“



Kein Sch... Sch... Sch... Eis!



Wenn Musiker*innen meinen, einem selbst diagnostizierten Mangel an gehaltvollen Kinderliedern entgegenwirken zu müssen, dann lässt dieses Vorhaben meist auf eine eher oberflächliche Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse schließen. Dabei würde doch schon ein kurzer Blick auf die Website von „Mama lauter!“ genügen, um sich ein Bild von der Vielfalt und Lebendigkeit der Kindermusik-Szene zu machen. Selbstverständlich ist inmitten dieser Vielfalt immer noch viel Platz für Newcomer*innen, aber gute Musik für Kinder ist heutzutage definitiv keine Mangelware mehr! Anders verhält es sich allerdings, wenn wir spezifische Genres in den Blick nehmen. In dem immer größer werdenden Musikangebot für Kinder kommt bislang zum Beispiel kaum Punkrock vor. Dieses Missverhältnis fiel offenbar auch Dominik Scherer aka. Jonny Karacho auf. Schon vor drei Jahren warf er sein ersten Album „Volle Karacho!“ in die Waagschale, um das offensichtliche Ungleichgewicht zumindest ein bisschen auszutarieren. Mit „Mamamachma!“ legt der Musiker aus Maintal bei Frankfurt nun nach – und schon allein angesichts des Titels gehört das Album natürlich bei „Mama lauter!“ vorgestellt und besprochen.

Wer The Interrupters, Kraftklub und Die Ärzte als musikalische Referenzen benennt, dem dürfen wir eine ausgeprägte Vorliebe für laute, verzerrte und auch mal schräge Klänge unterstellen. Und tatsächlich lässt Jonny Karacho rein musikalisch keinen Zweifel daran aufkommen, dass sein Künstlername auch Programm ist. Etwa auf der Hälfte der Platte liefert der Musiker mit „Das ist Punk“ auch ein entsprechendes Selbstbekenntnis ab: »In meinem Walkman liefen Rancid, Die Ärzte und Goldene Zitronen / 1000 CDs in meinem Schrank.« Kinder dürften mit den benannten Bandnamen zwar ebenso wenig anfangen können, wie mit der ziemlich gestrig anmutenden Leidenschaft, physische Tonträger zu sammeln. Umso mehr dürften sich allerdings Erwachsene mit ähnlicher musikkultureller Sozialisation angesprochen fühlen – und genau das scheint auch das Kalkül von Jonny Karacho zu sein. Mit dem Etikett „Punkmusik für Kinder“ macht er zuallererst Eltern ein alternatives Musikangebot. Wenn sich auch Kinder dafür begeistern lassen: Umso besser!

Mindestens zwei Beobachtungen sprechen dafür, dass diese Rechnung aufgehen könnte. Zum einen bringen Kinder im Vergleich zu uns Erwachsenen eine viel größere Offenheit für unterschiedliche Musikstile mit – ein Befund, der in der Musikpsychologie als „Offenohrigkeit“ bezeichnet wird. Zum anderen werden ihnen oft ähnliche Attribute zugeschrieben wie dem Genre Punkrock: Wild, laut, schnell, ungestüm – all das sind Kinder in den Augen vieler Erwachsener auch. Aus dieser Perspektive betrachtet, kommt bei Punkrock für Kinder genau das zusammen, was zusammen gehört – und Jonny Karacho liefert auch ein paar schlüssige Beweise dafür ab. Gleich zum Einstieg besticht „Eis drauf!“ mit mitreißendem Beat und einer Hookline, die den schnoddrigen Tonfall eines Punks zielgruppengerecht kaschiert. (»Fällst du mal hin steh wieder auf mach einfach Eis drauf / stehst du im Leben mal im Regen mach ein Eis auf / liegst du beim Reden mal daneben mach ein Eis auf / Sch.. sch... sch... Eis drauf!«) Ähnlich mitreißend ergreift „Alle andern dürfen das“ Partei für die absurdesten Kinderwünsche und baut dabei nicht nur musikalisch, sondern auch argumentativ ordentlich Druck auf. (»Alle Kinder dieser Welt, machen was ihnen gefällt / und mir sagt man in mein Gesicht: Du darfst das nicht.«) „Pärfekt“ widmet sich den menschlichen Unzulänglichkeiten und feiert selbstbewusst die Unvollkommenheit. (»Auch wenn alle Welt mir sagt: Bleib artig und sei brav / bin ich nicht perfäkt!«) Absolut authentisch führen diese drei Songs punkige Attitüde mit kindlicher Perspektive zusammen und entpuppen sich als die Highlights der Platte.

Leider hält „Mamamachma!“ diese Energie nicht über alle 12 Songs. Das liegt unter anderem an den zahlreichen Ausflügen in das Subgenre Ska-Punk, die Jonny Karacho offenbar leidenschaftlich gerne unternimmt. Vor lauter Offbeats lässt er dabei aber mal die musikalische, mal die inhaltliche Sorgfalt schleifen. Fragmente der hinlänglich bekannten Melodie von „Zum Geburtstag viel Glück“ lassen zum Beispiel das „Geburtstagslied“ vergleichsweise unoriginell wirken. Mit seinen deutlichen Bezügen zum Ska-Klassiker „One Step Beyond“ dürfte der „Pipi-Tanz“ in erster Linie Madness-Fans begeistern. Im Text macht sich der Song aber eher über Kinder lustig, als dass er ihnen auf Augenhöhe begegnen würde. (»Wenn du das ganze jetzt noch länger hältst / dann geht das garantiert nicht gut aus für uns.«) „Ciao Kakao“ wiederum begnügt sich damit, dutzende Abschiedsfloskeln zur Selbstdarstellung eines rastlosen Kindes zu verdichten. Die übrigen Titel lassen sich allesamt in diesem engen Spektrum aus Punkrock und Ska-Punk verorten, verfangen aber leider nicht so richtig. Selbst der Titelsong „Mamamachma“ entpuppt sich lediglich als lautmalerische Spielerei ohne besonderen Tiefgang. (»Mama mach ma das, Mama mach ma dies das / mach ma dies, mach ma das, Mama mach ma dies das.«). Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlimm, denn traditionell stehen im Punkrock vor allem der Spaß an der Musik und eine ausgelassene Stimmung im Fokus – und beides vermittelt Jonny Karacho durchaus glaubwürdig.

Fazit: Dass sich Dominik Scherer als bekennender Punk der Kindermusik zuwendet, verdient schon für sich genommen Anerkennung. Denn die Idee, einen per Definition unangepassten Musikstil an ein so junges Publikum anzupassen, ist eine echte Herausforderung. Als Jonny Karacho gibt er sich alle Mühe ihr gerecht zu werden, doch leider gelingt ihm das auf „Mamamachma!“ nicht durchgehend. In einigen Songs bleibt er inhaltlich einfach zu sehr auf Distanz zur Zielgruppe, in anderen hätte er sich musikalisch gerne etwas mehr anstrengen können. Gerade im Punkrock wirkt der Ruf nach Anspruch aber irgendwie auch unpassend. „Three chords, two guitars, one base-string, no talent!“ lautet das Motto so mancher Punk-Band. Legt man dieses bewusst anspruchslose Selbstverständnis zugrunde, dann zeigt sich, dass Qualitätsurteile hier mehr als sonst im Auge des Betrachters liegen. Eltern, die Punkrock nicht leiden können, werden an „Mamamachma!“ vermutlich keine Freude haben. Genau diese Abneigung macht die Lieder von Jonny Karacho für Kinder aber umso interessanter. Schließlich galt Punk immer schon als Ausdruck von Rebellion – auch und besonders gegen die eigenen Eltern. „Wer versucht, unvergängliche und geschmackvolle Musik für alle Generationen zu schreiben, nimmt Kindern jenen Raum, den sie brauchen, um eine eigene Sprache, eine eigene musikalische Vorliebe zu entwickeln“, schrieb der Kulturjournalist Jens Balzer vor einigen Monaten in der ZEIT. Er verstand diese Einlassung als generelles Argument gegen Musik, die von Erwachsenen für Kinder geschrieben wird. Vielleicht hätte er gerade an den Songs von Jonny Karacho seine helle Freude.


Video




Erschienen bei


NewTone

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Foto Jonny Karacho

Jonny Karacho

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