15.04.2022


Pauken & Planeten: „Mehr Mehr Mehr“



Etwas zu abgeklärt



Es ist mal wieder so weit: Der Hamburger Oetinger-Verlag, der mit seiner Compilation-Reihe „Unter meinem Bett“ seit 2015 nicht nur die Ohren, sondern vor allem auch die Herzen zahlreicher Kinder (und ihrer Eltern) zu erobern versucht, schickt mit Pauken und Planeten ein neues Duo in den Kindermusik-Ring. Hinter dem Bandnamen stecken Naima Husseini und Christopher Noodt, die dem Vorbild zahlreicher Musikerkolleg*innen gefolgt sind und nach ersten einzelnen Kinderliedern mit „Mehr Mehr Mehr“ nun ein ganzes Album für Kinder veröffentlichen.

Beide verfügen über hinlänglich musikalische Vorerfahrungen. Naima Husseini als Solo-Künstlerin, die ihre deutschsprachigen Songs in einem Stilmix aus Trip-Hop, R&B und Soul vorträgt, Christopher Noodt als Gründungsmitglied der Ohrbooten, vor allem aber als Gastmusiker an der Seite vieler prominenter Künstler*innen wie Dave Stewart, Sasha oder Mark Foster. An mindestens einem Ort kreuzen sich die Biografien der beiden Musiker*innen sogar. Beide haben nämlich den Popkurs der Hamburger Hochschule für Musik und Theater absolviert. Diese seit 1982 bestehende Intensivschulung in Sachen populärer Musikkultur hat in den letzten Jahren viele Absolvent*innen hervorgebracht, die ihrerseits großen Einfluss auf Deutschlands Musikszene haben oder hatten. Ob es diese gemeinsame Erfahrung war, die Naimi und Noodt als Writing-Team zusammengeführt hat? Beiden Musiker*innen dürfen wir jedenfalls eine ausgeprägte Leidenschaft für eingängige Pop-Kompositionen unterstellen – und das ist ja erstmal eine gute Voraussetzung, um für frischen Wind in der Gattung Kindermusik zu sorgen.

Umso erstaunlicher ist es, dass der Einstieg in dieses Album überraschend kraftlos ausfällt. Zu ziemlich träge geratenen Elektrobeats beschwört Husseini im Titelsong „Mehr mehr mehr“ kindliche Expansionsphantasien. (»Mehr mehr mehr, ist mir nie zu viel / mehr mehr mehr, ist alles was ich will.«) Angesichts globaler Krisen, deren Ursachen zumindest in Teilen auch der Idee von permanentem Wachstum und andauernder Leistungssteigerung anzulasten sind, wirkt die Message dieses Openers geradezu anachronistisch. Aus der Perspektive eines Kindes, dem sich die Welt mit jedem Tag ein Stück mehr erschließt, gewinnt das Lied dann aber doch an Plausibilität. Eben diese Perspektive wird in „Immer alles Überall“ (feat. Glassimoto) wenig später aber gleich wieder über den Haufen geworfen. Mit verzerrten Klängen und Stimmen geht der Song auf kritische Distanz zu unserer Überfluss- und Konsumgesellschaft. (»Kinder-Überraschungsei, unbedingt laktosefrei. / Hamburger aus Kasachtan, Mikrowellenkartoffelbrei.«) Das wirkt nicht nur widersprüchlich, sondern zeugt in den sprachlichen Details auch von einem ziemlich erwachsenen Blick auf die Welt. „Superheld“ findet dagegen durchaus Anschluss an die junge Zuhörerschaft – vor allem, weil es eines von mehreren Lieder ist, das von einem Kind gesungen wird. Leider ist aber auch dieser Song inhaltlich wie musikalisch etwas fad geraten. (»Hurra, ich bin ein Superheld, ich leb in einer Superwelt / mein Umgang der ist superchick, ich kenne einen Supertrick.«) „Bling Ding“ wiederum ist dank seiner minimalistischen Instrumentierung zwar musikalisch interessant umgesetzt, wirkt mit seiner plakativen Medienkonsumkritik aber erstaunlich weltfremd. (»Die Welt ist keine Scheibe, sie ist nicht hinter Glas / und schau ich mal zur Seite, dann seh‘ ich endlich was.«) „Arschbombe“ (feat. D!E GÄNG) schließlich fällt stilistisch wie inhaltlich komplett aus dem Rahmen. Mit aufgesetzt lässiger Attitüde und einem musikalischen Zitat aus „Jump“ von Van Halen feiert der Song den Sprung vom Dreimeterbrett im Freibad, bleibt dabei aber nur gewollt originell.

Fünf Titel, die „Mehr Mehr Mehr“ erstmal nicht so gut dastehen lassen. Doch das Album wartet auch mit gelungenen Momenten auf. Zu einem treibenden Beat, der passend zum Text leichte Hektik verbreitet, greift „Fünf Minuten“ (feat. Nicola Rost) die unterschiedliche Zeitwahrnehmung von Eltern und Kindern auf. (»Manchmal sind sie kurz und manchmal lang / glaubst du, dass man fünf Minuten wirklich messen kann?«) In deutlich seichtere Klänge verpackt nimmt „Bumm bumm“ die Kinder mit auf eine Reise durch den eigenen Körper und sensibilisiert sie anschaulich für das Mysterium des Lebens. (»Mein Herz macht bumm bumm bumm, ganz von allein / das muss ein Wunder sein.«) „Düsendingselgurgelot“ (feat. Dota Kehr) ist der Name einer noch zu erfindenden Maschine, die das Potential hat, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Überaus stimmig greift der Song die überbordende Phantasie von Kindern auf und stellt dabei relevante Bezüge zum Zeitgeschehen her. (»Der Friedensflugmagnet zieht einfach alle Waffen an / wenn man damit über Kriegsgebiete fliegt.«) „Still“ gibt dem kindlichen Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug angemessenen Ausdruck (»Ich bin einfach still und gern allein / weil ich gerade nichts will, außer einfach sein.«) und der letzte Song „Etwas ganz Besonderes“ ist dann wohl das klassischste Kinderlied der Platte. Mit gezupfter Gitarre erschafft es eine wohlige Atmosphäre, zu der das Album stimmungsvoll und grundoptimistisch ausklingt. (»Jeder kann was anderes gut, egal was es auch ist / jeder ist ein kleiner Spezialist. / Glaub an dich und glaube mir, wenn ich dir erzähl / dass du etwas ganz besonderes bist.«)

Fazit: Auf „Mehr Mehr Mehr“ vermengen sich die Licht- und Schattenseiten des modernen Kinderlieds. Das musikalische Handwerk betreffend kann man der Platte zwar kaum Vorwürfe machen, trotzdem plätschert das Album über weite Strecken eher uneindeutig vor sich hin. Naima Husseini trägt viele Lieder mehr lustlos als leidenschaftlich vor, überdies adressiert ein beträchtlicher Teil der Songs in seiner sprachlichen Ausgestaltung ganz klar ältere Kinder. Da hilft es dann leider auch nichts, dass einige Titel von einem Kind gesungen werden. Dass in vielen Songs die Perspektiven von Eltern und Kindern vermengt werden, gehört im Kinderlied zwar längst zum guten Ton. Wenn in „Still“ dann aber plötzlich auch der Papa Rückzug in der Höhle (und in den Comics) seines Kindes findet, oder in „Hallo Future“ über die Zukunftsfähigkeit von Krypto-Währungen spekuliert wird, entstehen erzählerische Brüche. Diese Beobachtungen machen „Mehr Mehr Mehr“ zwar keineswegs zu einem missglückten Album. Die Herausforderung, gelungene Kinderlieder zu schreiben, wurde hier aber zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Als Pauken und Planeten setzen sich Naima Husseini und Christopher Noodt dem Verdacht aus, vor allem die Art von Kindermusik umzusetzen, die ihnen als Erwachsenen gefällt. Das ist natürlich legitim und irgendwie auch verständlich, wirkt in der Summe aber etwas zu abgeklärt und verrät dabei viel über den Anspruch der Macher*innen. Schon vor einigen Jahren hat der Oetinger-Verlag das Ziel formuliert, die erste Adresse für die coolste neue Kindermusik werden zu wollen. Aber ist „Coolness“ ein wirklich klug gewählter Maßstab für diese Gattung? Zumindest im vorliegenden Fall hätten etwas mehr inhaltliche Sorgfalt und ein glaubwürdiger Enthusiasmus für das Kinderlied dem Gesamtergebnis ohne Zweifel gut getan.


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Erschienen bei


Oetinger Media GmbH

Veröffentlicht


2022

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Bandfoto "Pauken & Planeten"

Pauken & Planeten

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