01.01.2021


Café Unterzucker: „Nenn mich nicht mehr Häselein!“



Politisch grundierte Albernheiten



Neue Veröffentlichungen des Münchener Ensembles Café Unterzucker sind selten, folgen aber immer mindestens zwei Grundprinzipien. Zum einen verbinden sie humorvollen Nonsens mit viel Musikalität, zum anderen folgt jede Produktion einem inhaltlichen roten Faden. Nachdem sich das erste Album „Leiser!“ (2013) auf Nachbarschaftsbeziehungen fokussierte und der Nachfolger „Bitte, Mami, hol mich ab!“ (2015) aus einer Sammlung von Ferien- und Urlaubsliedern bestand, wendet sich „Nenn mich nicht mehr Häselein!“ dem Oberthema Tiere zu. Das Album steht also in der erzählerischen Tradition von Fabeln, fühlt sich deren klassischen Stilmerkmalen aber nur wenig verpflichtet.

Schon im ersten Titel kommt stattdessen der bewährte künstlerische Anspruch von Café Unterzucker zum Vorschein. Im lautstarken Mix aus verzerrten Gitarren und Blues-Harp markiert „Nenn mich nicht mehr Häselein“ den Einstieg in ein Album, das das Dasein als Kind augenzwinkernd zum Politikum erklärt. (»Papa, ja ich weiß, ich muss auf Äußeres achten / weil mich potentielle Arbeitgeber jetzt schon betrachten. (...) Ich befolge deine Regeln und vermeide jeden Streit / doch nenn mich nie mehr Häselein in der Öffentlichkeit.«) Mit diesem Einstieg stellt sich die Band den Freifahrtschein für eine Kunstform aus, die sie selbst als „ungesüßte Kindermusik und unversäuerten Erwachsenenschmarrn“ bezeichnet. Gekonnt bewegt sich das Ensemble dabei zwischen Blues, Country, Rock’n’Roll und Blasmusik. Und da zumindest ein Teil des Personals von Café Unterzucker nicht nur auf der Konzert-, sondern auch auf der Theaterbühne beheimatet ist, wird die Liedersammlung fortlaufend von kurzen Hörspieleinlagen unterbrochen, in denen wir der Probenarbeit des Chors der Romantiker lauschen dürfen. Dieser aus einer Handvoll schusseliger Sänger bestehende Gesangsverein baut immer wieder humorvolle Brücken zu den jeweils nachfolgenden Liedern.

Im Ergebnis entstehen Lieder wie „Eulenschwang“, das griechische Folklore mit Scat-Einlagen paart und die Flucht einer Eule aus dem gleichnamigen bayerischen Dorf besingt. Der Blues „Puma“ und das von einem Bläser-Ensemble träge instrumentierte „Muffelbär“ stellen strenge Gerüche ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Und das unheilvolle „Geisterreiher“ changiert musikalisch zwischen Country- und Surf-Music. Immer wieder finden sich aber auch geistreiche Botschaften in den Liedern, die Kinder wie Erwachsene gleichermaßen adressieren. Zu den entspannten Klängen eines Banjos positioniert sich „Gunter – Das Faultierlied“ beispielsweise gegen den Druck der Leistungsgesellschaft. (»Ein echtes Faultier ist niemals fleissig / also bitte Gunter: Gib mal Ruh! / Denn du kommst ja nicht weit / nur mit Tätigkeit.«) Und „Einhornschnitzel“ sucht nach einer pragmatischen Lösung für verantwortungsvollen Fleischkonsum. (»Ein jeder, der die Erde so richtig liebt / isst nur noch Tiere, die es überhaupt nicht gibt. (...) Man will sich ja bewusst ernähren / ein Einhornschnitzel mit Preißelbeeren.«)

Dass bei so viel kreativer Energie trotzdem nicht jede Liedidee überzeugt, ist zu verschmerzen. Etwa, wenn in „Lachse“ etwas plump der Begriff „Prophylaxe“ verwurstet wird. Oder wenn „Hehna“ und „Kater im Mai“ doppeldeutige Wortspiele für Erwachsene bemühen, die sich dank des Vortrags in bayerischem Dialekt aber ohnehin nur den Menschen erschließen, die südlich des Weißwurst-Äquators sozialisiert sind. Grundsätzlich wissen Café Unterzucker aber, was sie tun. Ihre Lieder folgen klar formulierten Ansprüchen und überzeugen in ihrer stilechten Umsetzung.

Fazit: Was der Puppenspieler und Autor Richard Oehmann und der Musiker Tobias Weber mit der Unterstützung zahlreicher versierter Musiker*innen als Café Unterzucker auf die Beine stellen, ist von besonderer Qualität. Wie schon die vorangegangenen Produktionen, überzeugt auch „Nenn mich nicht mehr Häselein!“ durch die Kombination von musikalischer Vielfalt und einem Humor, der trotz aller Albernheiten deutlich politisch grundiert ist. Sicher lässt sich darüber streiten, ob es den inhaltlichen roten Faden tatsächlich gebraucht hätte. Das Konzept von Hühner-Boogie, Reiher-Rock, Faultier-Swing und Miezekatzen-Jazz engt die kreativen Spielräume stellenweise deutlich ein und erzeugt in manchen Momenten unnötige Längen. Zu welcher Form Café Unterzucker wohl aufliefe, wenn sich das Ensemble von derartigen Eingrenzungen befreien würde? Im „Cowboylied“ heißt es: »Mein Kind hör mal zu, sei in Bio schön tüchtig / studiere die Sorten der Tiere auch richtig / denn willst du auf Erden stets unfallfrei wandern / verwechsle mal nicht ein Tier mit dem andern.« Auch hier schimmert die von Ironie geprägte Grundhaltung deutlich durch – und die einfachste Form der Ironie besteht ja bekanntlich darin, das Gegenteil dessen zu sagen, was man eigentlich meint. Warten wir also mal ab, ob Café Unterzucker das enge Korsett des Konzeptalbums beim nächsten Mal ablegen werden und erfreuen wir uns und unsere Kinder bis dahin mit diesem besonderen musikalischen Werk.

Erschienen bei


Trikont

Veröffentlicht


2019

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto "Café Unterzucker"

Café Unterzucker

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