01.01.2021


Heike Makatsch & Der Hund Marie: „Noch mehr schönste Kinderlieder“



Krampflösende Annäherung an das Volkslied



Vielen Menschen ist Heike Makatsch als Schauspielerin bekannt, den wenigsten jedoch als Sängerin. Dabei stellte sie bereits 1996 in Detlev Bucks Film „Männerpension“ ihr musikalisches Talent unter Beweis – damals coverte sie den Klassiker „Stand by your man“ von Tammy Wynette. 2009 folgte die Hauptrolle in „Hilde“, einem Film, in dem Makatsch die Chanson-Sängerin Hildegard Knef verkörperte und auch Knefs Lieder selbst sang. Ob es Zufall war, dass kurz darauf beim traditionsreichen Schweizer Buchverlag Diogenes das von Heike Makatsch gesungene und von Max Schröder (aka Der Hund Marie) arrangierte und instrumentierte Album „Die schönsten Kinderlieder“ erschien? Fakt ist jedenfalls, dass die Produktion mit traditionellen Kinderliedern unter Eltern positive Resonanz erzeugte. Mit „Noch mehr schönste Kinderlieder“ gibt es nun einen zweiten Teil mit zwölf neuen Titeln aus dem großen Liederbuch, einer 1975 erschienenen Sammlung von deutschen Volks- und Kinderliedern.

Ganze sieben Jahre hat sich das Duo für diese Fortsetzung Zeit gelassen. Allein diese Tatsache deutet schon darauf hin, dass das Projekt weniger aus geschäftigem Kalkül, sondern eher aus überzeugter Grundhaltung heraus entstanden sein dürfte. Im Mittelpunkt steht die Idee, traditionelle Kinderlieder musikalisch zeitgemäß umzusetzen, ihren volkstümlichen Charakter dabei aber nicht zu verleugnen. Angesichts des schlechten Rufs, mit dem sich das traditionelle Kinderlied gemeinhin konfrontiert sieht, ist das eine echte Herausforderung, an der schon zahlreiche Musiker*innen kläglich gescheitert sind. Denn das Dilemma praktisch aller Volkslieder geht darauf zurück, dass sie vornehmlich mündlich überliefert werden. Der Weitergabe über Generationen hinweg kommt der sich stetig wiederholende Wechsel aus Strophe und Refrain zwar sehr zugute, gleichzeitig provozierten genau diese Redundanzen aber auch schnell Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen. Einfacher ausgedrückt: Wir alle kennen zwar Volkslieder, finden sie in der Regel aber stinklangweilig.

Dass dieser Produktion nicht das gleiche Schicksal widerfährt, ist zuallererst der musikalischen Arbeit von Max Schröder zu verdanken. Zwar nimmt er bei ausnahmslos jedem Lied Text und Melodie des Originals zum Ausgangspunkt für seine Arrangements. Gleichzeitig bricht er die bekannten Strukturen aber immer wieder auf, um einer bisweilen üppigen Instrumentierung und dezenten harmonischen Abweichungen Raum zu geben. Schon das erste Lied „Brüderchen, komm tanz mit mir“ beginnt mit einem Intro, das eindeutig Assoziationen zu einer akustischen Pop-Produktion weckt. Dieser künstlerische Ansatz zieht sich wie ein roter Faden durch alle Songs und macht „Noch mehr schönste Kinderlieder“ zu einem abwechslungsreichen Ritt durch die vermeintliche Ödnis von Tradition und Überlieferung. So klingt „Im Märzen der Bauer“ plötzlich nach einer romantisch-verklärten Ode an den Frühling. Angereichert mit zahlreichen Geräuschen und Sounds bekommt „Jetzt fahren wir übern See“ experimentellen Charakter und „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ gleicht beim »Simsalabimbambaseladuseladim« dagegen fast einem buddhistischen Mantra.

Heike Makatsch ist an all dem natürlich nicht unbeteiligt. Ihr Gesang steht eindeutig im Mittelpunkt, ist aber eher mit der Sahne auf der Torte, als mit dem Salz in der Suppe vergleichbar. Wer Wert auf eine ausgebildete Stimme legt, wird an ihrer gesanglichen Leistung möglicherweise Anstoß nehmen. Wer dagegen die Qualität des Gesamtwerks erkennt, wird ihren Gesang als festen Bestandteil davon zu schätzen wissen.

Fazit: Weder versucht sich diese Liedersammlung durch moderne Soundästhetik, noch durch eine besonders ausgefallene Titelauswahl hervorzutun. „Noch mehr schönste Kinderlieder“ besticht einzig und allein durch seine vorurteilsfreie und krampflösende Annäherung an das Volkslied. Wie schon beim ersten Anlauf, wird auch hier dem Original größtmögliche Wertschätzung zuteil. Wer sich dem Album mit einer ähnlichen Haltung zuwendet, wird darauf wunderschöne Entdeckungen machen, die man gerne mit seinen Kindern teilt. Wer die musikalische Arbeit von Max Schröder (u.a. mit Olli Schulz, Tomte, Die höchste Eisenbahn) mag, kann ohnehin blind zugreifen, ohne enttäuscht zu werden. Ob Heike Makatsch indes weiter an einer Karriere als Sängerin arbeiten sollte, ist Ansichtssache. Als Hildegard Knef von der Jazz-Legende Ella Fitzgerald als „die beste Sängerin ohne Stimme“ bezeichnet wurde, war das jedenfalls ganz sicher als Kompliment gemeint.

Erschienen bei


Diogenes

Veröffentlicht


2016

Bewertung der Redaktion: 5/5


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