Albumcover "Sandkastenrocker"
27.05.2022


Randale: „Sandkastenrocker“



Stilbildung für angehende Musik-Nerds



Wer im Netz nach einer kindgerechten Umschreibung des Begriffs „Volljährigkeit“ sucht, der oder die findet auf der Website „Hanisauland“ (einem Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung) eine sorgsam differenzierte Umschreibung, die mit folgendem Satz endet: „Mit der Volljährigkeit sind aber nicht nur Rechte verbunden, man muss auch für seine Entscheidungen persönlich einstehen.“ Folgt man dieser Definition, dann ist die Bielefelder Band Randale, die in diesen Tagen ihren 18. Geburtstag feiert, zumindest im übertragenen Sinne mit einem Dilemma konfrontiert. Müssen die vier Musiker, die seit so vielen Jahren höchst engagiert den Punkrock in die Kinderzimmer bringen, ihre kindlich verspielte Attitüde nun ablegen und endlich erwachsen werden, oder dürfen sie weitermachen wie bisher? Schon mit dem Titel ihres neuen Albums scheint die Band diese Frage beantworten zu wollen. Als „Sandkastenrocker“ laden Randale zu einer Spielplatzparty ein und positionieren sich weiterhin als treue Verbündete der Kinder.

Zu Beginn des Albums wähnen wir uns als Zuhörer*in allerdings erstmal an einem ganz anderen Ort. Wie in einem Orchestergraben sitzend, lauschen wir verschiedenen Streich- und Blasinstrumenten beim Einspielen und Stimmen. Ein überraschender Einstieg für eine Band, die sich mit einer Mixtur aus Punk, Rock, Crossover, Reggae und Country einen guten Ruf und viele treue Fans erspielt hat. Nach kurzer Irritation wird das Orchester dann aber doch von einem treibenden Schlagzeug und verzerrten Gitarren abgelöst und stilecht in die Produktion eingeführt. »R.A.N.D.A.L.E.« skandiert Sänger Jochen Vahle lautstark in das Mikrofon, frei zu übersetzen mit: „Hier ist der Name Programm!“ Da steckt erstmal gar nicht so furchtbar viel Botschaft drin, dafür aber umso mehr Haltung. Und in den nachfolgenden 14 Songs haben Randale dann auch durchaus noch etwas mitzuteilen.

Mit progressiver Energie würdigt der Titelsong „Sandkastenrocker“ den Lieblingsort aller Kinder. (»Wir sind die Sandkastenrocker von der Spielplatzgang / wir sind immer in Bewegung.«) Ähnlich funktioniert auch „Bagger“, der stilistisch Shaggy nacheifert und im Text die Lieblingsbaumaschine von Kindern abfeiert. (»Ein Bagger ist die coolste Baumaschine auf der Welt / ein Bagger kostet mindestens dein ganzes Taschengeld.«) „Geister Krank“ gelingt eine hübsche Wortspielerei mit mindestens doppeltem Boden. (»Das Monster von Dr. Frankenstein / hat seit gestern schon einen Krankenschein.«) Handelt das Lied nur von einer Grippewelle in der Geisterbahn, oder versteht es sich auch als ironischer Kommentar auf den Geisteszustand von Querdenker*innen? Im zackigen Offbeat bleibt der Song eine eindeutige Antwort schuldig und gewinnt gerade dadurch an Profil. Ein wahrlich beeindruckendes Kindermusik-Kunstwerk ist auch „Hasenparadies“. Ein lauteres Kinderlied wurde vermutlich noch nie über den Tod geschrieben und gerade weil die Schere zwischen akustischer Anmutung und inhaltlichem Anspruch kaum weiter auseinandergehen kann, bekommt der Song eine Tiefe, die auf eigentümliche Weise berührt. Doch nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch trauen sich Randale allerlei Experimente zu. Das herrlich alberne „Bum Bum Banana“ würdigt das Lieblingsobst der Band und ist zugleich eine Hommage an den Sound der Beastie Boys oder der Red Hot Chili Peppers. Mit seinen authentischen Drum-Samples und mehrstimmigem Background-Gesang weckt „Samstags Nachmittags Fieber“ schöne Erinnerungen an den Disco-Sound der 80er-Jahre. Und im Wave-Gothic-Stil der Sisters of Mercy dürfte „Nachtfalterin“ eine musikalische Bereicherung für jede Halloween-Party sein.

Inmitten all dieser gelungenen Titel fallen die wenigen schwächeren Songs kaum ins Gewicht. Mit seinem ruhigen Tempo fordert zum Beispiel „Lama Drama“ bewusst zum Müßiggang heraus, ist am Ende aber tatsächlich etwas zu lahm geraten. „Flaschenpfand“ möchte für soziale Ungerechtigkeit sensibilisieren, findet dafür aber überraschend unsensible Worte. (»Sie sind sauer, denn ihre Eltern verstehen das nicht / doch sie schreien den ganzen Tag immer nur „Ich! Ich! Ich!“«) „Müll“ wiederum fordert mehr Umweltbewusstsein und eine nachhaltige Lebensführung ein, gibt seinen künstlerischen Anspruch aber zugunsten des gewollten Lerneffekts auf. (»Auch wenn wir jetzt die Antwort kennen und die Lösung „Recycling“ nennen / so müssen wir den Müll, na klar, richtig sinnvoll trennen.«) Kleine Unstimmigkeiten in einem ansonsten sehr stimmigen Gesamtwerk. Wenn sich der „Schlummerpunk“ im letzten Lied zu Bett legt, dann hat er über 15 Songs definitiv viel erlebt und dürfte musikalisch bereichert ins Land der Träume abdriften. (»Doch abends bin ich kuschelig / ganz müde, Punk sein Dank!«)

Fazit: Randale haben so gar nichts mit den Klischees und Vorurteilen zu tun, die sich noch immer sehr hartnäckig über die Gattung Kindermusik halten. Selbst von Kolleg*innen aus der Kindermusik-Szene wird die Band für ihr klares stilistisches Bekenntnis zum Teil kritisch beäugt. Wie weit darf Kindermusik gehen? Wo hört künstlerische Freiheit auf und wo fängt pädagogische Verantwortung an? Randale mögen es, auf diesem schmalen Grat zu wandeln und probieren dabei immer wieder Neues aus. Mit „Ich mag den Sommer“ hat sich die Band zuletzt sogar für den Eurovision Song Contest beworben – zum Glück (oder leider?) ohne Erfolg. Frontmann Jochen Vahle ist einer der engagiertesten Akteure in Sachen Kindermusikkultur und beweist zusammen mit seinen Bandmitgliedern Marc Jürgen, Christian Keller und Garrelt Riepelmeier seit 18 Jahren kreatives Potential, künstlerische Eigenständigkeit und krisensicheres Stehvermögen. All diese Tugenden prägen auch das Album „Sandkastenrocker“. Im hymnenhaften Refrain von „Kilometer“ schimmert die ganze Leidenschaft einer Band durch, die sich musikalische Stilbildung für angehende Musik-Nerds auf die Fahnen geschrieben hat. Angesichts dieser Lebensleistung darf die Geburtstagsparty der Band diesmal ruhig etwas größer und lauter ausfallen. Und das wird sie auch! Nach zwei Jahren Pandemie sind für den Sommer 2022 zahlreiche Randale-Konzerte angekündigt. Diesen Spaß sollten sich Kinder und Eltern definitiv nicht entgehen lassen.


Video




Erschienen bei


Newtone

Veröffentlicht


2022

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto "Randale"

Randale

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