26.02.2021


„Schlagerkids - Vol.1“



Absurd, inhaltsleer und verstörend



Für gewöhnlich widme ich mich mit „Mama lauter!“ der Aufgabe, Empfehlungen für GUTE Kindermusik auszusprechen. Ziel ist es, die Arbeit von engagierten, authentischen und talentierten Künstler*innen zu würdigen und so ein wenig dazu beizutragen, dass ihnen selbst – wie auch der Gattung Kindermusik insgesamt – mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit zuteil wird. Natürlich bemühe ich mich dabei um sachliche Urteile. Doch bei allem Bemühen um größtmögliche Objektivität, unterliegt die Abgrenzung zwischen „gut“ und „schlecht“ immer auch subjektiven Kriterien. Damit stellt sich die Frage: Wenn das Urteil über spezifische musikalische Angebote am Ende ohnehin maßgeblich von unserem individuellen Geschmack abhängt, welchen Sinn macht dann Musikkritik – insbesondere über Musik für Kinder? Sollten nicht gerade sie uneingeschränkten Zugang zu der Musik haben, die ihnen gefällt – unabhängig von der Meinung Erwachsener? Eine Formation wie die Schlagerkids lädt geradewegs dazu ein, sich eingehender mit dieser Frage zu befassen.

Schlager für Kinder, das ist an und für sich nichts Neues. Interpreten wie Detlev Jöcker oder auch Reinhard Horn orientieren sich in der musikalischen Umsetzung ihrer Kinderlieder seit etlichen Jahren an den Stilmerkmalen des Genres – und viele weitere, eher unbekannte Kindermusiker*innen, eifern ihnen mehr oder weniger talentiert nach. Ich persönlich stehe solchen Kinderliedern ausgesprochen kritisch gegenüber, denn das Schlager-Genre ist von genau den Eigenschaften geprägt, die nach meinem Verständnis im fundamentalen Widerspruch zu Aspekten wie Musikalität und Authentizität stehen. Doch noch viel fragwürdiger als Schlagermusik für Kinder, sind von Kindern gesungene Schlager – und genau davon bietet diese Veröffentlichung reichlich.

Unter dem Namen Schlagerkids wurden vier angehender Teenager im Alter zwischen 12 und 14 Jahren zusammengecastet, um die größten deutschsprachigen Schlager-Hits „als coole Kids-Versionen“ zu präsentieren. Das zumindest ist der Website zu diesem kuriosen Projekt zu entnehmen. Weiterhin ist dort zu erfahren, dass Benedikta, Lena, Phil und Miguel „mit ihrer ansteckenden Leidenschaft für den deutschen Schlager“ bereits ein Millionenpublikum bei „The Voice Kids“ von den Sitzen gerissen haben. Offensichtlich hatten hier also auch der Fernsehsender ProSieben und seine geschäftigen Marketing-Strateg*innen ihre Finger mit im Spiel. Ihren Ideen folgend, singen die vier Kinder Lieder wie „Was für eine geile Zeit“ von Ben Zucker, „Phänomen“ von Helene Fischer oder auch den Evergreen „Aber bitte mit Sahne“ von Udo Jürgens. Ergänzend dazu gibt es mehrere Titel, bei denen die Kids „ihren eigenen Twist“ einbringen. Dank einer bemerkenswerten Kreativleistung wird so aus Peggy Marchs Klassiker „Mit 17 hat man noch Träume“ das einschläfernde „Mit 13 hat man noch Träume“. (»Mit 13 hat man noch Träume / man sieht den Wald voller Bäume / glaubt, das Gute wird siegen.«) Wolfgang Petrys „Ruhrgebiet“ wird kurzerhand zu einer selbstreferentiellen Hymne im stumpfen Uptempo. (»Wir sind die Schlagerkids / Musik die in den Ohren bleibt / und da singt jeder mit / das ist unsere Zeit.«) „Wir sind im Herzen jung“ wiederum bedient sich einer musikalischen Vorlage von Semino Rossi. (»Wir sind im Herzen jung / unsere Zeit ist noch längst nicht um.«) Einen seiner absurdesten Höhepunkte bietet das Album beim Lied „Das Leben tanzt Sirtaki“ – im Original vom Schlager-Trio Klubbb3 interpretiert. Zu Klängen, die offenbar an griechische Folklore erinnern sollen, singen die Kinder darin Zeilen wie diese: »Ein Lichtstrahl fiel aus Ilias Taverne / ‚Private-Feier‘ stand dort an der Tür / Ich hörte Gläser klingen Menschen lachen / und dann drang dieses Lied hinaus zu mir.« Was bitte haben solche Lieder mit der Lebensrealität von Kindern zu tun?

Nichts, behaupte ich. Doch die zuständige Promo-Abteilung hält sich mit derlei Fragen ohnehin nicht auf, sondern stellt fest: „Schlager funktionieren auch bei der jüngsten Zielgruppe. Die eingängigen Melodien, die direkten Songtexte, das Besingen der Liebe – das sind schließlich auch die Zutaten von erfolgreichen deutschen Radiopopsongs.“ Noch plumper kann man das tatsächliche Ansinnen hinter dieser Produktion gar nicht offenlegen: Machen wir Kindermusik doch einfach genauso gleichförmig und austauschbar, wie all das, was ein Großteil der Erwachsenen ohnehin schon hört. Inhaltliche Tiefe, musikalischer Anspruch, kindgerechte Botschaft? Völlig überbewertet! Das Musikvideo zur Single „Phänomen“ setzt diese Haltung auf entlarvende Weise visuell um. Bemüht erwachsen tanzen die jungen Interpret*innen darin vor samtweißer Kulisse. Darüber hinaus passiert nichts. So blass und farblos wie dieses Video, ist auch die Produktion insgesamt. Sie steht für rein gar nichts.

Fazit: Zwangsläufig kommen mit wachsender Popularität der Gattung Kindermusik auch immer mehr kritische Veröffentlichungen zum Vorschein. Die Schlagerkids markieren dabei einen verstörenden Höhepunkt. Schablonenartig überträgt die Produktion die Inhaltsleere und plumpe Sentimentalität aus der Schlagerwelt für Erwachsene auf Kinder. Man macht sich dabei nicht einmal mehr die Mühe, zielgruppengerechte Texte zu schreiben. Wozu auch? Je früher die Jüngsten die Lieblingslieder ihrer schlagerbegeisterten Eltern mitsingen, desto früher sind sie als Fans für das gesamte Genre rekrutiert. Vielleicht sollen hier aber auch nur neue Schlagerstars nach dem Vorbild von Heintje („Mama“) oder Cornelia Froboes („Pack die Badehose ein“) kreiert werden? Was auch immer das genaue Ansinnen dahinter ist: Musik, die Kinder in ihren kindlichen Lebenswelten adressiert und ernst nimmt, klingt bestenfalls vielfältiger und sollte definitiv mehr mitzuteilen haben. Die besondere Tragik liegt am Ende darin, dass viele Kinder musikalischen Vorbildern wie den Schlagerkids trotzdem nacheifern werden. Denn auf ihren kritisch noch nicht besonders geschulten Geist üben der Glanz und Glamour dieser und ähnlicher Acts eine besondere Sogwirkung aus. Eben deshalb braucht es Musikkritik, gerade für Kindermusik! Kinder werden diesen Text natürlich nicht lesen. Aber ihr als Erwachsene tut es und schärft so bestenfalls nicht nur euren eigenen Blick für gute Kindermusik-Produktionen, sondern auch den eurer Kinder. Ich möchte wetten: Sie werden es euch ihr Leben lang danken.


Video




Erschienen bei


Electrola/Universal Music

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 1/5


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