Albumcover "Sing Sang Song 2"
14.01.2022


„Sing Sang Song 2“



Austropop für die ganze Familie



Man lernt ja bekanntlich nie aus. Erst durch die Recherche zu der hier besprochenen Platte wurde mir zum Beispiel klar, dass schon gegen Ende der 1960er Jahre ein neues Wort Einzug in unseren Sprachgebrauch gehalten hat: Austropop. Der Begriff gilt als geläufige Bezeichnung für Popmusik aus Österreich und fand in Künstlern wie Falco, Reinhard Fendrich, Opus oder der E.A.V. (Erste Allgemeine Verunsicherung) erste prominente Vertreter. Endlich haben die vielen Musikimporte aus unserem Nachbarland nun also auch für mich ein einprägsames Etikett.

Doch ob sich auch die Singer und Songwriterinnen, die sich auf der Compilation „Sing Sang Song 2“ versammelt haben, mit dieser Zuschreibung richtig gelabelt fühlen? Offen gestanden waren mir bislang die wenigsten von ihnen bekannt. Sicher ist aber: Sie alle kommen aus Österreich und zählen dort zu der Sorte Musiker*innen, die durch eine besonders künstlerische Handschrift auf sich aufmerksam machen. Nachdem schon 2019 die erste Ausgabe von „Sing Sang Song“ erschien, wurden für diesen Tonträger abermals 14 Künstler*innen aus der Alpenrepublik zur kollektiven Rückbesinnung an die Lieder ihrer Kindheit zusammengetrommelt. Hierzulande kennen wir derartige Brückenschläge zwischen Popkultur und Kindermusik durch Compilations wie „Unter meinem Bett“, „Giraffenaffen“ oder auch ein Projekt wie „Zugabe“, für das prominente Musiker*innen ihre Lieblingslieder von Fredrik Vahle neu interpretiert haben. Wie aber wird dieses Konzept in Österreich umgesetzt?

Zunächst einmal fällt auf, dass nur wenige der hier dargebotenen Songs auf bekannten Vorlagen basieren. Vergleichsweise vertraut mag noch ein Lied wie „Kommt ein Vogel geflogen“ wirken, das von Fraeulein Astrid mehr gehaucht als gesungen und zurückhaltend am Klavier begleitet wird. Auch Liedermacher Ernst Molden hat sich mit „Rabumm“ einen St. Martins-Klassiker („Ich geh mit meiner Laterne“) zur Brust genommen, ihn aber textlich wie musikalisch höchst eigenwillig uminterpretiert. Norbert Wally und Fabio Schurischuster hauchen in „1000 Jahre sind ein Tag“, dem im Original von Udo Jürgens vorgetragenen Song aus der Fernsehserie „Es war einmal der Mensch“, ausgesprochen authentisches Western-Flair ein. Und im kontrastreichen Zusammenspiel aus verzerrten Gitarren und dem Sound eines ganzen Orchesters, geben ultrascope das Volkslied „Maikäfer flieg“ unerschrocken im Originaltext zum Besten. (»Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg / die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt.«)

Jenseits dieser vergleichsweise bekannten Titel finden aber auch fremdsprachige Kinderlieder einen Platz auf der Compilation. Robert Rotifer bereichert die Liedsammlung zum Beispiel mit „Teddy Bears‘ Picnic“, laut Pressetext das Lieblingslied seiner in England aufgewachsenen Kinder. Gemeinsam mit ihrem in Chile aufgewachsenen Vater steuert die junge Liedermacherin Sigrid Horn das mexikanische Kinderlied „En el Tren de Acapulco“ bei. Und mit dem Beatles-Klassiker „Octopus's Garden", den das Duo Pippa & Hans in einer verträumten Neuinterpretation vorträgt, wird das Kinderlied-Spektrum gezielt ausgereizt. Einzelne Neukompositionen knüpfen direkt an diese Herangehensweise an und zeugen von einem ziemlich unverkrampften Umgang mit kindgerechten Kompositionen. Das offenbart gleich zu Beginn der Opener „Roboterreise“ von Monsterheart & David Pfister, der eher nach einem lustvoll verspielten Klangexperiment als nach einem auf Eingängigkeit getrimmten Kinderlied klingt. „Alaska“, eine kleine Indie-Schelmerei des Musikers Johnny Batard, dreht den Spieß bewusst um und reduziert sich auf die Wiederholung einer einzigen Textzeile (»Stefanie sagt: Es ist so kalt in Alaska / Alaska, Alaska, USA.«). Mit dem von Punk inspirierten „Haha“ flechtet die Indie Rock-Band Kreisky dezent politischen Anspruch in die Compilation ein. (»In 20 Jahren seh‘ ich dich in dem Management einer Bank / und die andern sind alle, was weiß ich, arbeitslose Punks.«) Genüsslich wird der zum Ende noch einmal von Paul Pfleger aka. Paul & Pets aufgegriffen. Sein Song „Mama, I Don ́t Want To Be A Businessman" verzückt durch die Synthese eines Schlaflieds mit frühkindlicher Systemkritik. (»Mama, I don’t want to be a businessman / I don’t want to know, how the market grows.«) In Anbetracht solcher Auswüchse stellt sich fast zwangsläufig die Frage, ob all das überhaupt noch als Kindermusik bezeichnet werden kann, oder ob hier nicht vielmehr musikinteressierte Eltern umgarnt werden sollen? Wohlwollend umgedeutet könnte man aber auch sagen: Diese Compilation steckt voller musikalischer Entdeckungen für unvoreingenommene Kinderohren.

Fazit: „Sing Sang Song 2“ verweigert sich nicht nur der Reproduktion üblicher Kindermusik-Klischees, sondern überrascht auch durch eine künstlerische Freigeistigkeit, die die Verbindung zu klassischen Kinderliedern bewusst kappt. Einzig das von der Folk Pop-Band Lamila vorgetragene „Fliege mit mir fort“ bedient in bester Manier all die Erwartungen, die gemeinhin an ein Kinderlied formuliert werden. Eben deshalb sehen sich Kindermusik-Compilations, die in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit bekannter Popacts entstehen, bisweilen auch mit dem Vorwurf konfrontiert, die musikalischen Interessen der Kinder aus dem Blick zu verlieren. Wer dazu neigt, dieser These zu folgen, der sollte besser die Finger von „Sing Sang Song 2“ lassen, denn ohne Zweifel fordert diese Platte die Hörgewohnheiten von Kindern heraus. Die Erfahrung zeigt aber, dass kindliche Musikvorlieben oft unergründliche Wege gehen. Folglich könnte man auch sagen, dass „Sing Sang Song 2“ Kindern das offene Angebot macht, den eigenen Horizont zu erweitern. Darüber hinaus geht die Compilation einer sehr gewichtigen Frage nach: Wie sind die hier beteiligten Künstler*innen zu dem geworden, was sie heute sind? Allein die Annahme, dass die kreative Verarbeitung frühkindlicher Musikerfahrungen eine Antwort auf diese Frage bereithalten könnte, legt das unermessliche Potential von Kindermusik offen und unterstreicht ihren bedeutungsvollen Einfluss auf das Kunst- und Kulturverständnis von Kindern. Ja, „Sing Sang Song 2“ ist vergleichsweise sperrig und zielt damit bewusst auf das Interesse längst erwachsener Musiknerds mit einem Faible für österreichische Popkultur. Mit angesprochen sind dabei aber auch die, die genau das möglicherweise noch werden wollen, wenn sie selbst irgendwann mal erwachsen sind. Oder Menschen wie ich, die in Sachen Austropop offenbar noch einiges dazulernen können.

Erschienen bei


Pumpkin Records

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 3/5


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