10.09.2021


Sven van Thom: „Spuckepack“



Der Spatz war keine Eintagsfliege



Nach diversen Songbeiträgen auf der Compilation „Unter meinem Bett“ hat Sven van Thom mit seiner Platte „Tanz den Spatz“ schon vor drei Jahren bewiesen, dass er sich vortrefflich darauf versteht, die Gattung Kindermusik künstlerisch zu bereichern. Zu Recht ist das Album infolgedessen sowohl mit dem Weberlein, als auch mit dem Medienpreis Leopold ausgezeichnet worden. Mit „Spuckepack“ meldet sich der Berliner Musiker nun zurück und spielt erneut gleich mehrere seiner Stärken voll aus.

Der Albumtitel deutet bereits an, dass Sven van Thom den kreativen Umgang mit Sprache mag. Seine unverkrampfte Direktheit und der erzählerische Rahmen so mancher Lieder sind ohne Zweifel seiner Sozialisation in der Hauptstadt zu verdanken. Die schimmert schon im Opener „So kann der Tag beginnen“ deutlich durch: »Morgens wenn die Stadt erwacht und Fledermäuse fliehen / und die Menschen auf dem Bürgersteig ne Fresse ziehen...« Das sind überraschend deutliche Worte, die bei manchen Eltern (oder auch Kindern) sanfte Irritationen auslösen dürften. In den nachfolgenden Zeilen macht sich Sven van Thom dann aber genüsslich für ein ungesundes Frühstück stark und lässt so die erste seiner Stärken als Kindermusiker zum Vorschein kommen: Nämlich seine Fähigkeit, absolut überzeugend die Perspektive von Kindern einzunehmen.

Folglich kommt dieses Talent auch gleich im zweiten Titel „Spucke in die Spree“ zum Vorschein. Wie sich hier harmlose Blödelei mit aufrichtiger Empathie für kindliche Alltagssorgen vermengt, zeugt eindrucksvoll vom Potential eines richtig guten Kinderlieds. „Ferien im Taunus“ entpuppt sich als geografisches Pendant zu „Nicht schon wieder an die Ostsee“ – ein Lied, mit dem Sven van Thom auf seinem ersten Album den Urlaub an der deutschen Küste aufs Korn nahm. (»Ferien im Taunus, warum um alles in der Welt / unter Urlaub in den Bergen, hab ich mir was anderes vorgestellt.«) Mit „Wenn wir nochmal in Urlaub fahren“ rollt er die Geschichte diesmal aber auch vom anderen Ende auf und blickt mit einer gehörigen Portion Melancholie auf die schönste Zeit des Jahres zurück. (»Wenn wir nochmal in Urlaub fahren / dann bleiben wir da.«)Heute bade ich mich schrumpelig“ wiederum dürfte selbst für die wasserscheuesten Dreckspatzen zur schmissigen Badewannen-Hymne werden.

Eine weitere Stärke von Sven van Thom ist es, Eltern und Kinder als gemeinsame Hörer*innenschaft zu adressieren. Das ist zwar das erklärte Ziel fast aller Kindermusiker*innen, aber oft genug klafft zwischen Absicht und gelungener Umsetzung ein tiefer Graben. Anders hier. „Dein Papa kann nicht kochen“ ist eine humorvoll überspitzte Würdigung des modernen Hausmanns (»Wenn dein Papa kocht, dann kocht er nur vor Wut / denn alles was dein Papa kocht schmeckt leider nicht so gut.«), „Mama einpacken“ dagegen die kraftvolle Hommage an die Mutter. (»Gegen meine Mama kann deine Mama einpacken.«) Mit der gefühlvollen Liebeserklärung „Die beste Oma der Welt“ wird sogar die Generation der Großeltern mitgedacht. (»Müsste ich alles aufzählen, was mir an ihr gefällt / ich wär bis morgen nicht fertig, denn sie ist ganz ehrlich / die beste Oma der Welt.«) Seinen emotionalen Höhepunkt erreicht das Album aber zweifellos mit „Narben“, ein Lied, das keinen Hehl daraus macht, dass das Leben auch schmerzhafte Momente bereithält. Mit fast väterlicher Geste wendet sich Sven van Thom hier direkt an die Kinder und ermutigt sie dazu, auch das Unglück als Bereicherung anzunehmen. (»Und findest du dein Herz in tausend Teilen / dann heb es auf und sag: „Was soll’s!“ / Und sollten deine Narben niemals heilen / das geht auch, trage sie mit Stolz.«) Wer durch dieses Lied nicht auch als Erwachsener berühren wird, dessen Herz ist womöglich schon zu Stein erstarrt.

Bleibt zuletzt noch die musikalische Umsetzung des Albums hervorzuheben. Sven van Thom ist ein talentierter Multiinstrumentalist, dessen Handschrift von ebenso viel Können wie kleinteiliger Detailverliebtheit geprägt ist. Wieder hat er fast alle Instrumente allein eingespielt, was schon für sich genommen bemerkenswert ist. Hinzu kommt, dass er sich stilistisch nicht auf ein spezifisches musikalisches Genre festlegt, sondern gekonnt mit ganz unterschiedlichen Einflüssen experimentiert. Lustvoll und verspielt bewegt er sich zwischen Liedermachertradition, opulenten Klangkulissen und dezent eingeflochtenen, popkulturellen Referenzen, scheut sich aber auch nicht vor Abstechern ins Schlager-Genre. So entstehen passgenaue musikalische Gerüste, die den Inhalt aller Lieder absolut stimmig und ausgesprochen abwechslungsreich rahmen.

Fazit: Vielen Musikproduktionen für Kinder ist ihr verkrampftes Bemühen um Erfolg allzu offensichtlich anzuhören. Inhaltliche und musikalische Überzeugungskraft bleiben dabei leider allzu oft auf der Strecke. Ganz anders verhält es sich bei Sven van Thom. Wodurch auch immer bei ihm das Interesse an Kindermusik geweckt wurde: Hier kommt zusammen, was zusammengehört! Absolut authentisch lässt er sich auf die Lebenswelt von Kindern ein, ohne sich dabei auch nur ansatzweise anzubiedern. Manche Lieder stellen die Regeln der Erwachsenen infrage und befördern so den kindlichen Freigeist, andere fordern die Kinder inhaltlich bewusst heraus. Denn Sven van Thom scheut sich weder vor klaren Ansagen, noch vor anspruchsvollem Wortwitz oder ironischen Doppeldeutigkeiten. All das verpackt er in ebenso mitreißende wie berührende Kompositionen. Sein besonderes Talent als Kindermusiker hat er schon auf dem Vorgängeralbum „Tanz den Spatz“ unter Beweis gestellt. „Spuckepack“ knüpft nahtlos daran an und setzt die Mixtur aus unterhaltsamer Albernheit und sanfter Melancholie konsequent fort. Ein beeindruckendes Kindermusik-Album, das ganz sicher nicht nur Hörer*innen aus Berlin gefallen wird.


Video




Erschienen bei


Oetinger Media GmbH

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 5/5


Künstler*in



Pressefoto Sven van Thom

Sven van Thom

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft