01.01.2021


„Unter meinem Bett 6“



Zum sechsten Mal: Überaus geschmacksbildend!



Als 2015 die erste Ausgabe der Compilation-Reihe „Unter meinem Bett“ veröffentlicht wurde, war unter musikinteressierten Eltern ein lautes Aufatmen zu hören: Endlich gibt es Kindermusik, die mit Anspruch und Haltung umgesetzt wird – und die auch wir cool finden! Tatsächlich gab es die auch schon vorher, doch mit ihrem Konzept bewiesen die kreativen Köpfe hinter diesem Projekt ein besonderes Gespür für die musikalischen Bedürfnisse junger Familien aus urban geprägten Milieus. Die Idee, Musiker*innen aus der deutschen Indie-Szene neue Kinderlieder komponieren und interpretieren zu lassen, war absolut bestechend und hat die Kindermusik-Szene insgesamt bereichert. Kein Wunder also, dass nun bereits die sechste Ausgabe von „Unter meinem Bett“ veröffentlicht wird.

Inzwischen hat sich für dieses Projekt ein fester Kreis aus Musiker*innen etabliert, zu denen sich immer wieder neue Kolleg*innen gesellen. Diesmal geben Künstler*innen wie Dino Paris, Masha Qrella, Matze Rossi und Familie Wermut ihr Kinderlied-Debut. Sie alle verbindet, dass sie mit ihrer musikalischen Arbeit einen weiten Bogen um Mainstream-Pop machen und sich wenig um die Radiotauglichkeit ihrer Lieder scheren. Von dieser unangepassten Haltung sind fast alle Songs der Compilation geprägt. Bei genauem Hinhören entpuppt sie sich als ein geeignetes Lehrstück über das zeitgenössische Kinderlied. Denn am Beispiel einzelner Songs lassen sich mindestens vier Kategorien skizzieren, die die Gattung Kindermusik grundlegend charakterisieren.

Da wäre zunächst das gefällige Kinderlied zu nennen. Es spricht Kinder direkt an und nimmt Bezug auf ihre Lebenswelt, vermeidet in der Regel aber jede Kontroverse. Trifft dieser Ansatz auf musikalisches Talent, entsteht ein Lied wie „Antoine der Stadtschwan“, bei dem Thomas Rost zu einem lockeren Offbeat beschwingte Heiterkeit mit unverfänglichem Wortwitz verknüpft. Auch Sven van Thom (aka. Tiere streicheln Menschen) beweist in „Mit Büchsenschuhen im Hopserlauf“ sein Talent für gelungene Albernheiten und ernennt sich zum »Lord of the cans«. Phantasievoll personifizieren dagegen Deniz & Ove in „Die Niddeldididds“ das Klingeln des morgendlichen Weckers, Pohlmann macht eine lästige sommerliche Alltagserfahrung zum Ausgangspunkt für seinen „Wespensong“ und ebenso empathisch wie Mut machend greift Matze Rossi mit „Ich habe keine Angst“ eines der gewichtigsten Gefühle der Kindheit auf. (»Glaub mir, die Angst will auch umarmt sein / weil Liebe immer die Antwort ist.«)

Eine Steigerungsform des gefälligen Kinderlieds ist das kunstvolle Kinderlied. Inhaltlich verfolgen beide ähnliche Absichten, doch das kunstvolle Kinderlied greift dafür zu anderen Mitteln. Entweder ist es sprachlich abstrakter oder musikalisch komplexer, manchmal sogar auch beides. „Ballerina“ von Cäthe ist so ein Lied. Oder auch „Ich finde ja du leuchtest“ von Der Hund Marie. Die zwei Songs stehen exemplarisch für Kinderlieder, die sich den Weg ins Ohr bewusst über Umwege bahnen – doch einmal angekommen, verharren sie dort umso lieber.

Hinzu kommt das politische Kinderlied. Es scheut sich nicht davor, ein gesellschaftspolitisches Thema aufzugreifen, versucht aber, es möglichst kindgerecht zu verpacken. Ein Beispiel auf dieser Platte: „Ich leb in der Zukunft“ von Francesko und Moritz. Das Lied formuliert Utopien eines besseren Lebens (»Es gibt kein Internet und nichts zu kaufen / niemand fährt, niemand fliegt, alle laufen«) und klingt dazu auch noch ausgesprochen futuristisch, da es weitestgehend auf harmonische Struktur verzichtet. Einen anderen Ansatz wählt Olli Schulz, der mit „Oscar und Charlie“ in Form einer musikalischen Fabel und in gewohnt positiver Grundstimmung zu Rebellion und Freigeistigkeit ermuntert. (»Ich mal mich kunterbunt an / ich bemal sogar die Mähne / ich bind den Hund vom Hof ab / und wir machen große Pläne.«) Auch Larissa Pesch steuert mit „Liebe“ einen musikalisch mitreißenden Song mit Botschaft bei, tapst dabei jedoch in eine klassische Kinderlied-Falle. Denn so richtig die gut gemeinte Absicht ist, Kinder zu toleranter Haltung befähigen zu wollen, so unnötig ist es, die Intoleranz mancher Erwachsener zum Ausgangspunkt für ein Kinderlied zu machen: »Neulich fragt mich meine Freundin wie ich das seh / sie hätte gerade jemand getroffen der sagt es wär nicht okay / wenn ein Mann einen Mann liebt und eine Frau eine Frau liebt...« Gleich in den ersten Zeilen des Songs wird die Abweichung von der vermeintlichen Norm zum Thema gemacht und Homosexualität damit einmal mehr negativ geframed. Das muss nicht sein.

So kommen wir zur letzten Kategorie – dem bemühten Kinderlied. Das ist schnell umschrieben: Es ist meist gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Es sind nunmal nicht alle Musiker*innen mit dem Talent gesegnet, gute Kinderlieder schreiben zu können. Demzufolge überrascht es nicht, dass auch auf „Unter meinem Bett 6“ ein paar Ausreißer zu finden sind, etwa Lisa Who mit „Ich kann das alleine“ oder Familie Wermut mit „Fragen fragen“. Musikalisch wie inhaltlich sind die zwei Songs eher uninspiriert und bereichern die Platte kaum. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. Grundsätzlich bürgen die an diesem Projekt beteiligten Musiker*innen für musikalische Qualität – und am Ende bleibt die Wahl des Lieblingslieds immer auch eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Fazit: Auch in ihrer sechsten Ausgabe überzeugt die Compilation „Unter meinem Bett“ durch ihr breites musikalisches Spektrum. Dabei lautet das Konzept: Es gibt kein Konzept. Die „Unter meinem Bett“-Reihe lebt von der Herangehensweise, den beteiligten Musiker*innen viel künstlerische Freiheit zu lassen. Logisch, dass die Qualität im Ergebnis schwankt. Nicht jeder Song wird jedem Kind gefallen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird jedes Kind beim Hören dieser Platte ein paar neue Lieblingslieder für sich entdecken. Und in jedem Fall macht es Bekanntschaft mit stilistischer Vielfalt. Das ist die wahrscheinlich größte Leistung dieses Projekts: „Unter meinem Bett“ wirkt überaus geschmacksbildend und schafft damit die Basis für ein Musik- und Kulturverständnis, das Kinder auf ihrem Lebensweg entscheidend prägen kann.


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Erschienen bei


Oetinger Audio

Veröffentlicht


2020

Bewertung der Redaktion: 5/5


Herausgeber*in



Unter meinem Bett

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