24.06.2022


„Unter meinem Bett 7 vs. Giraffenaffen 7“



Kampf der Pop-Kulturen



Ist es Zufall oder Kalkül, dass die beiden vermutlich bekanntesten Kindermusik-Sampler der letzten Jahre am selben Tag ihre inzwischen siebte Auflage präsentierten? Was auch immer der Grund dafür sein mag, dass „Unter meinem Bett 7“ und „Giraffenaffen 7“ am selben Tag erschienen sind: Der gemeinsame Veröffentlichungstermin gibt in jedem Fall Anlass, die Kindermusik-Projekte einem direkten Vergleich zu unterziehen. Wofür stehen sie? Worin unterscheiden sie sich? Was haben sie Kindern zu bieten?

Zunächst ein kurzer, einordnender Exkurs in die Vergangenheit: Schon 2012, also vor genau zehn Jahren, mischten die „Giraffenaffen“ den Kindermusikmarkt gehörig auf. Prominente Popstars wie Dendemann, Flo Mega, Annett Louisan oder Lena interpretierten damals ihre Lieblingskinderlieder im Stil ihrer musikalischen Arbeit für Erwachsene – ein fast revolutionärer Akt auf dem zu dieser Zeit meist noch ziemlich angestaubt wahrgenommenen Kindermusikmarkt. Drei Jahre später adaptierte der Hamburger Oetinger-Verlag die Idee und versammelte unter dem Titel „Unter meinem Bett“ zahlreiche Indie-Künstler*innen, die nicht etwa altbekannte, sondern ganz neue Kinderlieder zum Besten gaben – eigens für diese Reihe komponiert. In ihren Grundzügen sind die beiden Sampler also durchaus vergleichbar. Und beiden dürfen wir wohl auch unterstellen, dass sie der Kindermusik-Szene frischen Wind unter die Flügel pusten wollten. Das ist ihnen sogar auch gelungen! Beide Projekte fanden unter Eltern wie Kindern großen Anklang und verkauften sich überraschend gut. Demzufolge ist es auch nicht verwunderlich, dass inzwischen bereits die zweite Kinder-Generation mit Neuauflagen von den „Giraffenaffen“ und „Unter meinem Bett“ beglückt wird. Aber können wir uns noch ähnlich ungetrübt darüber freuen, wie zu den frühen Pionierzeiten?

Schenken wir unser Gehör zunächst der siebten Auflage von „Unter meinem Bett“. Insgesamt zwölf Songs sind diesmal auf dem Sampler versammelt, interpretiert von Künstler*innen wie Berend Intelmann, Ina Simone Mautz oder Karl die Grosse. Was, diese Namen sagen ihnen nichts? Kein Grund zur Sorge, damit sind sie wahrscheinlich nicht allein. Eines der Markenzeichen von „Unter meinem Bett“ ist es nun einmal, im Zweifel auf weniger bekannte, dafür aber auf umso interessantere Künstlerpersönlichkeiten zu setzen. Entsprechend vielseitig ist der Sampler im Ergebnis auch geworden. Songs wie „Meine Sachen kriegen Beine“ (Mister Me & Wim), „Geräusche“ (Moop Mama) oder „Düsendingselgurgelot“ (Pauken und Planeten feat. Dota Kehr) gelingt auf jeweils eigene Weise die beeindruckende Balance zwischen kindlicher Phantasie, inhaltlichem Anspruch und musikalischer Experimentierfreude. Genau dafür steht ein Großteil der hier vertretenen Künstler*innen ja auch, selbst wenn Lieder wie „Fisch“ (Düsseldorf Düsterboys), „Doppeldeckerbus“ (Max Prosa feat. Norman Sinn) oder „Das Garnelenlied“ (Mine) sich deutlich stärker an traditionellen Kinderlied-Schemata orientieren und so vergleichsweise uninspiriert ausfallen. In seiner Gesamtheit bemüht sich „Unter meinem Bett“ aber auch in der siebten Auflage wieder darum, Kindern ein vielfältiges musikalisches Angebot zu machen, das sie gut unterhält und sie zugleich in ihrem in der Regel noch sehr offenen Zugang zu Musik fordert und fördert.

Was erwartet Kinder dagegen bei den „Giraffenaffen“? Nachdem in den frühen Auflagen größtenteils noch volkstümliche Kinderlieder im Mittelpunkt standen, scheint dieser Fundus inzwischen erschöpft zu sein. Stattdessen werden auf der aktuellsten Veröffentlichung des Samplers unter anderem Songs des Kindermusik-Superstars Volker Rosin neu interpretiert – und zwar von Künstler*innen wie dem DJ-Duo Stereoact oder den Schlager-Größen Amigos. Während die einen den Nonsens-Song „Der Gorilla mit der Sonnenbrille“ verschlimmbessern, überführen die anderen das nicht weniger groteske Lied „Ich habe einen kleinen Papagei“ in ihre „positive Klangwelt“ (Zitat Pressetext). Ganz offensichtlich hat man sich bei den „Giraffenaffen“ nun also dazu entschlossen, sich endgültig dem massentauglichen Mainstream an den Hals zu werfen. Weitere Schlagerstars wie Ross Antony, Thomas Anders, Jasmin Wagner, Voxxclub oder Anna- Maria Zimmermann sind ein eindeutiger Beleg für den Ansatz, das musikalische Spektrum des Samplers auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einzudampfen. Es dominieren dumpfe Beats und schlichte Kompositionen. Den absoluten Tiefpunkt markiert dabei die Neufassung von „Schnappi, das kleine Krokodil“, gesungen von Eric Philippi. Wir erinnern uns: Dieser Song war vor fast 20 Jahren ein internationaler Millionenseller und steht damit exemplarisch für die seltene Erfolgsgeschichte eines Kinderlieds. Da es seinerzeit aber zugleich die üblichen Kindermusik-Klischees (albern, anstrengend und anspruchslos) reproduzierte, hat es der Gattung insgesamt wohl eher einen Bärendienst erwiesen. Dass der Song für die neueste Ausgabe der „Giraffenaffen“ nun wieder aus der Mottenkiste geholt wurde, sagt viel über die Anspruchshaltung der Macher*innen aus. Lobend hervorzuheben sind eigentlich nur die von Beginn an bestehende Kooperation mit dem Kinderhilfsprojekt „Die Arche“ sowie die von Marianne Rosenberg gesungene Benefiz-Single „Kleine weiße Friedenstaube“, deren Erlös Kindern und Familien aus der Ukraine zugutekommt. Leider lassen sich soziales und musikalisches Engagement aber nicht gegeneinander aufwiegen.

Fazit: Für Kinder und Eltern, die sich in den eindimensionalen Klangkulissen des Schlagers wohlfühlen, haben die „Giraffenaffen“ diesmal viel – um nicht zu sagen: mehr als je zuvor zu bieten. Auch wenn es mir persönlich schwerfällt, diesem bis zur Unkenntlichkeit blankpolierten Genre künstlerische Wertigkeit zuzusprechen, gehört die offenkundige Begeisterung vieler Menschen für diese Art von Musik am Ende respektiert und verdient demzufolge wohl auch Anerkennung. Wem’s gefällt... bitte! Das deutlich ambitioniertere Angebot macht Kindern aber der Sampler „Unter meinem Bett“, auch wenn der sich wiederum fast schon verkrampft darum bemüht, den Mainstream auf Distanz zu halten. Geschickt hat sich der Musiker Francesco Wilking (Tele/Die Höchste Eisenbahn), der das Projekt seit langer Zeit künstlerisch betreut, dabei als zentrale Figur in Position gebracht. Auf fast jeder Veröffentlichung von „Unter meinem Bett“ ist er (zum Teil sogar mehrfach) vertreten. Danach gefragt, wie er inzwischen auf seine Arbeit als Musiker schaut, zitierte er neulich in einem ZEIT-Podcast die US-amerikanische Sängerin Billie Eilish mit der in diesem Kontext bemerkenswerten Textzeile: »Things I once enjoyed just keep me employed now.« Im Prinzip folgen also beide Sampler den Regeln und Erwartungshaltungen jeweils unterschiedlicher Märkte und Zielgruppen – mit entsprechenden Abnutzungserscheinungen. Das interessantere künstlerische Spielfeld eröffnet sich womöglich genau zwischen den beiden hier vorgestellten Projekten. In der Gattung Kindermusik wird es weniger von Konzernen oder Verlagen, sondern von weitestgehend selbstständig agierenden Künstlerpersönlichkeiten bespielt. Ohne Zweifel haben sowohl „Unter meinem Bett“ als auch die „Giraffenaffen“ dazu beigetragen, dieses Feld neu zu definieren und so deutlich mehr Vielfalt in die Kindermusik-Szene gebracht. Inzwischen müssen sie allerdings aufpassen, dass ihnen nicht das Schicksal eines ihrer prominentesten Vorbilder widerfährt. Von den „Bravo Hits“ existieren inzwischen bereits 115 Auflagen – aber wen interessiert das noch wirklich?


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Erschienen bei


Oetinger Media GmbH/Seven.One Starwatch

Veröffentlicht


2022

Herausgeber*in



Unter meinem Bett

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