16.09.2021


„Unter meinem Bett - Das Weihnachtsalbum“



Vorfreude ist die schönste Freude



Schlimm genug, dass kurz nach den Sommerferien bereits Pfeffernüsse, Spekulatius und Lebkuchen in den Supermärkten verhökert werden. Doch müssen wir im September jetzt tatsächlich auch schon Weihnachtslieder hören? Beim Oetinger-Verlag hat man sich diese Frage anscheinend eindeutig mit „Ja“ beantwortet. Mit dem „Weihnachtsalbum“ der in Kindermusikkreisen inzwischen hinlänglich bekannten Compilation-Reihe „Unter meinem Bett“ wagt das Haus einen besonderen Schritt. Bislang wurde es nämlich tunlichst unterlassen, die von mehr oder weniger angesagten Indie-Musiker*innen interpretierte Kinderliedersammlung durch einen thematischen Rahmen einzuengen. Nach sechs erfolgreichen und auch künstlerisch überzeugenden Produktionen, scheint es nun aber an der Zeit für einen frischen Impuls zu sein. Es ist naheliegend, dabei auf das Konzept einer Weihnachtsplatte zu setzen, denn zumindest aus betriebswirtschaftlicher Sicht entpuppen die sich in aller Regel als Erfolg. Zugleich ist in der Gattung Kindermusik aber auch noch viel Platz für gute Songs über Schnee, Geschenke und den Weihnachtmann. Wo verortet sich die Platte in diesem Spannungsfeld? Lassen wir uns auf das Wagnis ein und tauchen schon im Spätsommer für rund 50 Minuten in den Winter ab.

Mit „O je, Tannenbaum“ eröffnet diesmal Enno Bunger die Liedsammlung. Musikalisch zurückhaltend und garniert mit Schellenkranz und Glöckchen, schmückt der Song das thematische Anliegen der Compilation vergleichsweise klassisch aus. Die Geschichte über die kreative Umgestaltung eines eher unperfekt geratenen Nadelgewächses lässt aber erahnen, dass auf dieser Platte so manches Klischee spielerisch verdreht wird. Dieser Herangehensweise fühlt sich im nachfolgenden Titel auch das Duo Deniz & Ove verpflichtet. Ihr eingängig komponierter Popsong „Ich will Schnee“ besingt die kindliche Sehnsucht nach weißer Weihnacht, die sich aber leider erst im März erfüllt. Dieses meteorologische Phänomen gilt als eines vieler Indizien für den Klimawandel. Glücklicherweise unterlassen es Deniz & Ove aber, diesen naheliegenden inhaltlichen Bezug herzustellen und das Lied damit ideologisch zu überfrachten. Spätestens mit „Lametta“ von Naima Husseini und Christopher Noodt (aka Pauken und Planeten) bricht die Platte dann mit allen besinnlichen Erwartungen, denn hier dominieren schnelle Beats und sprachliche Blödeleien. (»Bei Eseln und bei Ochsen, wummert‘s aus den Boxen. / Ein Kindlein ist geboren, es gibt was auf die Ohren.«) Mit dem von Post-Punk inspiriertem Lied „Winter ist wie Sommer, nur in kalt“ legt Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen direkt nach und feiert mit schnoddriger Attitüde die kalte Jahreszeit.

Mit diesen vier Titeln ist ein kreatives Spielfeld präpariert, auf dem sich auch die elf nachfolgenden Lieder genüsslich austoben. Wie oft bei „Unter meinem Bett“, flechten einige Musiker*innen dabei auch politische Botschaften in ihre Kinderlieder ein. In „Adventskalender“ zum Beispiel tauscht Maike Rosa Vogel die Schokolade hinter den 24 Türchen gegen die Wünsche eines für Selbstbestimmung kämpfenden Kindes aus. (»Dass ich der Chef von Allem bin, warum sollen das nur andere sein? / Die können das doch auch nicht besser, das hier ist so ein Quatschverein.«) Im detailverliebt instrumentierten „Carla, die Weihnachtsfrau“ stellen Lina Maly und Moritz Krämer dem Weihnachtsmann eine versierte Kollegin an die Seite und unmissverständlich klar: »Ja ich will die Quote – auch zur Weihnachtszeit.« Mit authentischen Bezügen zur Neuen Deutschen Welle geht Andreas Dorau in „Der Weihnachtsmann ist eine Frau“ sogar noch einen Schritt weiter und hält fest: »Der Weihnachtsmann ist Legende, mit diesem Lied machen wir ihm ein Ende.« Zu minimalistischen Computersounds greifen bei Eule & Lerche schließlich „Die Weihnachtskinder“ dem Weihnachtsmann beim Geschenke verteilen unter die Arme und üben sich dabei ganz nebenbei in der praktischen Umsetzung sozialer Gerechtigkeit.

Wen angesichts solcher Lieder die Sorge umtreibt, dass „Das Weihnachtsalbum“ vermeintlich unpolitische Kinder verprellen oder überfordern könnte, der (oder die) sei beruhigt: Zum einen wird die kindlich-politische Haltung durch ebensolche Lieder ja erst geprägt. Zum anderen gibt es auf der Compilation auch Songs, die sich deutlich mehr dem traditionellen Weihnachtslied mitsamt seiner verklärten Romantik verpflichtet fühlen. Im von Indie-Pop inspirierten „Ich hab geträumt von dir“ etwa berichtet die Sängerin Desi von ihren nächtlichen Abenteuern mit dem Weihnachtsmann. In ihrem im besten Wortsinn überzuckert arrangierten Lied „Schnee im Gefrierfach“ betrauert auch Nicola Rost den fehlenden Schnee, bietet aber zugleich eine bestechend einfache Lösung des Problems an. (»Zum Glück hab ich noch Schnee im Gefrierfach vom letzten Jahr / hinter den Pommes und der Tiefkühlpizza.«) Feierlich laden Francesco Wilking und Doktor Renz (Fettes Brot) in „Gute Zeit“ zu kollektiver Zufriedenheit im vorweihnachtlichen Alltagstrubel ein. Und wenn Sven Van Thom in „Zu Weihnachten da wünsch ich mir»Einhornschweiß im Kinderpunsch« auf „Wunsch“ reimt, stellt er wieder einmal das ganze phantasievolle Potential des Kinderlieds unter Beweis. Inmitten all dieser kreativen Ideen findet selbst das zum Klang eines Streicher*innen-Ensembles vorgetragene „Ping Pong im Dezember“ des Musikkabarettisten Sebastian Krämer einen stimmigen Platz. Und während Larissa Pesch zum Schluss einfühlsam auf „Ein ganzes Jahr“ zurückblickt, wagt Stefanie Schrank (Gorilla Club) in „Silvester“ bereits den Ausblick auf die bevorstehenden zwölf Monate. So schließt sich am Ende der Platte der Kreis ganz in der Tradition eines klassischen Weihnachtsalbums.

Fazit: Die besondere Stärke von „Unter meinem Bett“ ist die Kombination aus stilistischer Vielfalt und musikalischer Expertise. Wie ein guter Song gemacht wird, muss man den hier beteiligten Musiker*innen nicht erst erklären, denn dieses Wissen bringen sie bereits mit. Wie gut es ihnen dabei gelingt, die Kinder angemessen anzusprechen, das liegt sicher im Auge des Betrachters, noch mehr aber an der Offenheit der Kinder selbst – und eben die wird durch diese Compilation-Reihe wohltuend stimuliert. „Das Weihnachtsalbum“ macht diesbezüglich – trotz seiner thematischen Eingrenzung – keine Ausnahme. Teilweise stellen die hier beteiligten Musiker*innen bereits zum dritten oder vierten Mal ihr beeindruckendes Gespür für packende Kinderlieder unter Beweis. Dass sich talentierte Künstler*innen wie sie für die Gattung Kindermusik begeistern, ist nur eines vieler Verdienste von „Unter meinem Bett“. Sinnbildlich steht der Name der Reihe für einen verstaubten Ort, umschlossen von geheimnisvoller Dunkelheit. Genau dort lassen sich oft die spannendsten Entdeckungen machen. Sollten Kinder diese Weihnachtslieder deshalb tatsächlich schon ab September hören? Ohne Zweifel ist der Oetinger-Verlag mit der Veröffentlichung der Platte erstaunlich früh dran. Doch bekanntlich ist Vorfreude ja die schönste Freude!

Erschienen bei


Oetinger Audio

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 5/5


Herausgeber*in



Unter meinem Bett

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