Albumcover "Wenn's nach mir ging"
04.02.2022


Fidibus: „Wenn's nach mir ging“



Ein würdevolles Kindermusik-Denkmal



Kinderlieder mit Kinderstimmen bilden innerhalb der Gattung Kindermusik praktisch ein eigenes Genre und erzeugen dabei häufig gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist es natürlich naheliegend und in gewisser Weise konsequent, Kinder bei der Umsetzung von Kindermusikproduktionen aktiv zu beteiligen. Auf der anderen Seite ist es dem Ergebnis oft anzuhören, dass die musikalische Arbeit mit Kindern herausfordernd und dem Ergebnis nicht immer zuträglich ist. Wer sich als Musiker*in oder Produzent*in im Spannungsfeld zwischen pädagogischem und künstlerischem Anspruch bewegt, hat fast zwangsläufig einen schwierigen Drahtseilakt zu vollziehen.

Was liegt angesichts dieser Herausforderung näher, als die Kräfte versierter Expert*innen aus beiden Bereichen zu bündeln? Nachdem der Musiklehrer Horst Großnick 2004 eher unerwartet beim ersten Kinderliederwettbewerb des WDR gewann – und zwar mit einer Schar sehr junger Schüler*innen, für die er das Lied „Ab auf die Reise“ geschrieben hatte – führte ihn ein zweiter Zufall mit dem Musikproduzenten Dieter Krauthausen zusammen, der als Toningenieur zunächst zwischen Hamburg, Berlin, London und New York pendelte, bevor er Ende der 90er Jahre mit seinem eigenen Studio in Köln sesshaft wurde. Aus dieser Begegnung entstand die Band Fidibus und kurz darauf das Album „Ab auf die Reise“, das durch mindestens zwei Merkmale zu glänzen vermochte: Die phantastischen Kinderstimmen und der professionelle musikalische Rahmen, in den diese Stimmen eingefasst wurden. Auf dem zweiten Album „Wenn’s nach mir ging“ setzt sich diese Herangehensweise mit nur einem Unterschied fort: Die Kinder sind rund zwei Jahre älter und damit auch erfahrener und selbstbewusster geworden. Das ist dieser Produktion deutlich anzuhören.

Charmant-albern und doch eindringlich fordert gleich das erste Lied „Wenn’s nach mir ging“ kindliche Mitbestimmung ein. (»Wenn’s nach mir ging wäre Nasebohren Pflicht / doch nach mir geht’s ja normalerweise nicht.«) Ein Appell, der in den dreizehn nachfolgenden Songs unmittelbar in die Praxis überführt wird. Auch wenn deren Texte nicht aus der Feder der Kinder stammen, tragen sie die darin erzählten Geschichten durchaus glaubhaft vor. Thematisch orientieren sich nämlich alle Songs an ihrer Lebenswirklichkeit und verknüpfen verschiedenste Alltagserfahrungen und -beobachtungen mit fein dosiertem Wortwitz. So greift auch der zweite Titel „Ordentlich“ den eingangs beschworenen Autonomiegedanken auf, überträgt das Streben nach Selbstbestimmung aber auf das unaufgeräumte Kinderzimmer. (»Immer alles ordentlich an seinem Platz / da findet man doch niemals einen lang vermissten Schatz.«) In „Schmuddelwetter“ und „Schon wieder alles nass“ hadern die Kinder mit schlechtem Wetter, während sie in „Frühling“ ihre Sehnsucht nach wärmeren Temperaturen fröhlich-verträumt zum Ausdruck bringen. „Ferien“ rückt dagegen den Wunsch nach einer Auszeit von Schule und Lernen in den Mittelpunkt. (»Nur noch ein paar Tage und es ist so weit, ich hör das letzte Klingeln und ich bin befreit / Ferien, vom Jahr die schönste Zeit.«) Die Uptempo-Nummer „Otto Risotto“ bringt kulinarischen Anspruch ins Kinderlied, „Keine Ahnung“ wiederum überführt die sokratische Weisheit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ in für Kinder deutlich zugänglichere Worte. (»Gute Frage, aber tut mir leid / in dieser Sache weiß ich wirklich nicht Bescheid.«) Mit „Schäfchen zählen“ singen sich die jungen Sänger*innen sogar selbst in den Schlaf. Die thematische Vielfalt ist also groß und reicht mit „Advent, Advent“ bis zu einem leicht konsumkritisch angehauchten Weihnachtslied.

Hinsichtlich seiner musikalischen Ausgestaltung steht „Wenn’s nach mir ging“ dieser Beobachtung in nichts nach. Stilistisch verortet sich das Album an der Schnittstelle von Pop, Jazz und Blues und setzt diese verschiedenen Einflüsse immer wieder in ein neues Verhältnis. Schon allein dadurch wird die Platte auch für erwachsene Ohren zu einem abwechslungsreichen Hörgenuss. Mitreißende Energie gewinnt sie letztlich durch die sorgfältig ausgearbeiteten Arrangements, sowie durch die gekonnte Umsetzung von absolut professionell aufspielenden Musikern, die sich trotz allen Könnens nie in den Vordergrund drängeln. Ganz im Gegenteil: Im Mittelpunkt stehen die Kinder und die von ihnen besungenen Themen. So behält das Album im besten Wortsinn immer kindlichen Charakter.

Fazit: Für Fidibus haben Horst Großnick und Dieter Krauthausen ihre Talente in den Dienst einer gemeinsamen Sache gestellt und zusammen mit den Kindern ein zeitloses Meisterwerk geschaffen. Auch wenn „Wenn’s nach mir ging“ inzwischen 14 Jahre alt ist und die Texte in ihrer Tonalität nicht mehr vollends auf der Höhe der Zeit sind, hört man den Kindern noch immer gerne zu und staunt anerkennend über ihr beeindruckendes Gesangtalent. Der Vollständigkeit halber soll am Ende nicht unerwähnt bleiben, dass die jungen Sänger*innen allesamt blind sind. Im Grunde tut das gar nichts zur Sache, würde dieser Umstand dem Bandprojekt nicht noch in ganz anderer Hinsicht vorbildlichen Stil verleihen. Bisweilen geraten Musikproduktionen mit Kindern nämlich auch in die Versuchung, ihre musikalischen Schwächen durch den Anstrich eines Sozialprojekts zu kaschieren und damit eine dubiose Form von Imagepflege zu betreiben. Fidibus haben das zum Glück nicht nötig, weshalb sie ihre Sehbeeinträchtigungen auch nicht weiter zum Thema machen. Lediglich der „Tango der Maschinen“ ist ein verklausulierter Lobgesang auf die Braille-Schreibmaschine. Fünf Jahre nach „Wenn’s nach mir ging“ hat sich die Formation übrigens in Tonbande umbenannt und als solche ihr letztes Album „Dieses Lied“ aufgenommen. Darauf klingen die Kids nochmal deutlich reifer und adressieren folglich auch eher Teenager als Kinder. Sie sind also mit ihren Liedern gewachsen und ihnen am Ende auch entwachsen. Vor allem als Fidibus haben die Kinder der Louis Braille Schule in Düren aber Maßstäbe und sich selbst damit ein absolut würdevolles Kindermusik-Denkmal gesetzt.


Video




Erschienen bei


Madi Music/Pänz Verlag

Veröffentlicht


2008

Bewertung der Redaktion: 5/5


Bewertung der Leser*innen: 5/5


Künstler*in



Fidibus

Ein Kommmentar



14.08.2023 12:32

Michael Scheibe



Ich finde Musik und Texte einfach wunderschön.
Die Stimmen sind sehr sauber und die Melodiesicherheit absolut professionell.
Hut ab vor dem Arrangement mit den vielen handgespielten Instrumenten,
damit wird perfekt der Inflation der Musik und des musikalischen Könnens entgegengewirkt.

Es hört sich alles ein wenig blueslastig an und das kommt mir sehr entgegen.

ich würde gern einige Lieder mit meinen Kindern singen und spielen bzw. sie der Laien-Band in der Grundschule vorstellen, natürlich nicht zum kommerziellen Gebrauch.

Wird das tolleriert von den Rechteinhabern ?

wie komm ich an die Texte die Akkorde und die Noten für die verschiedenen Instrumente?

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