01.01.2021


„Zugabe“



Mehr als die Summe der einzelnen Teile



Auch wer mit Kindermusik eigentlich nichts am Hut hat, dürfte den Namen Fredrik Vahle zumindest schon einmal gehört haben. Der 1942 geborene Musiker gilt als der Vater des „neuen Kinderlieds“ und hat mit Titeln wie „Anne Kaffeekanne“, „Der Cowboy Jim aus Texas“ oder „Die Rübe“ zeitlose Klassiker geschaffen. Wie kein anderer hat er seine jungen Zuhörer*innen mit einem Mix aus kindgerechter Anmutung, Sprachwitz und politischem Anspruch gefordert. Mit dieser Haltung war er seiner Zeit weit voraus und hat sich Ende der 70er Jahre in konservativ geprägten Milieus nicht nur Freunde gemacht. Völlig zu Recht wurde Fredrik Vahle für seine besonderen künstlerischen Verdienste vor fast 20 Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen. Mit „Zugabe“ folgt die längst überfällige musikalische Würdigung seiner Arbeit.

Der konzeptionelle Ansatz, mehr oder weniger prominente Musiker*innen für die Umsetzung von Kinderliedern zu gewinnen, ist inzwischen nicht mehr ganz neu. Zu den erfolgreichsten Formaten der letzten Jahre zählen die Reihen „Unter meinem Bett“ und „Giraffenaffen“. Anders als dort, spinnt in „Zugabe“ jedoch allein das Repertoire von Fredrik Vahle den roten Faden durch die Produktion. Diese Fokussierung öffnet den Raum für besonders eigenwillige Umsetzungen – und von dieser Möglichkeit haben die beteiligten Musiker*innen reichlich Gebrauch gemacht.

Die stilistische Bandbreite auf „Zugabe“ ist beeindruckend und reicht von Pop, Jazz, Folk, Hip Hop und Swing bis hin zu Elektro, Polka und Punk. Dass diese überaus bunte Mischung funktioniert, ist vor allem der gezielten Auswahl der beteiligten Künstler*innen und Bands zu verdanken. Musiker wie Stoppok, Max Mutzke oder Heinz Rudolf Kunze haben ein ebenso eigenständiges Profil vorzuweisen, wie die Bands De Phazz, Ton Steine Scherben oder Erdmöbel. All diese (und viele weitere) Interpret*innen haben sich die Songs von Fredrik Vahle zu Eigen gemacht und nach ihren Vorstellungen runderneuert. Mit Deine Freunde, Randale und Hartmut Höfele sind darüber hinaus auch drei Vertreter aus der Kindermusik-Szene an der Produktion beteiligt, die nicht weniger überzeugend abliefern.

Wer die Spielweise von Fredrik Vahle kennt, der wird von der akustischen Dichte dieser Compilation überrascht, vielleicht sogar irritiert sein. Abgesehen von „Der Cowboy Jim aus Texas“ (Tex), „Die Rübe“ (Hartmut Höfele) und dem „Rackedickeducke-Lied“ (Max Prosa und Sarina Radomski), entfernen sich die Neuinterpretationen sehr weit von den Originalaufnahmen. Gerade das macht diese Platte aber so besonders, denn damit bringt sie zusammen, was zusammengehört. »Im Pop wurde vieles aus archaischen und exotischen Musikkulturen „verwurstet“, was im Bereich der neuen Kinderlieder viel besser aufgehoben wäre«, schrieb Vahle selbst in einem seiner Bücher. In diesem Sinne kann „Zugabe“ als die praktische Umsetzung seiner These bezeichnet werden.

Fazit: Schon allein aufgrund ihrer stilistischen Bandbreite und der stilechten Umsetzung der jeweiligen Lieder, ist diese Produktion eine einzige Offenbarung. Mehr Abwechslung lässt sich in einer Stunde Musik kaum unterbringen. Was unter anderen Voraussetzungen überladen wirken würde, überzeugt in diesem Fall durch den besonderen Kontext. Gekonnt und vielseitig überführen die einzelnen Interpretationen das Liedgut von Fredrik Vahle in das Hier und Jetzt. Wenn gute Musiker*innen gute Kinderlieder interpretieren, dann entsteht daraus eben mehr als die Summe der einzelnen Teile.


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Erschienen bei


Sauerländer Audio / Argon Verlag GmbH

Veröffentlicht


2019

Bewertung der Redaktion: 5/5


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