Albumcover "Bunt!"
14.04.2023


„Bunt!“



Wer singt für wen?



Kaum etwas wird in der Gattung Kindermusik so viel besungen, wie das Thema Vielfalt. Kein Wunder, schließlich sind Gleichberechtigung, Toleranz und Zusammenhalt wichtige Werte, die man Kindern gerne vermittelt und die auch vielen Kindermusiker*innen ein Herzensanliegen sind. In der konkreten künstlerischen Umsetzung bleibt genau diese Vielfalt dann jedoch häufig auf der Strecke. Meistens werden die immergleichen Stereotype bemüht. Von bunten Bildern, die in allen erdenklichen Farben gemalt werden, ist dann die Rede. Der Regenbogen wird als Sinnbild für eine diverse Gesellschaft herangezogen und überraschenderweise wird bei alldem die Differenz oft stärker betont, als das, was uns als Menschen eint und verbindet.

Dass der kreative Umgang mit den Themen Vielfalt und Diversität in der Kindermusik manchmal eindimensional und etwas unbeholfen wirkt, dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass die Szene selbst diese Vielfalt bislang kaum wiederspiegelt. Sie ist nicht nur eindeutig männlich dominiert, sondern auch Menschen mit Behinderung, People of Colour oder queere Personen sind ausgesprochen selten als Kindermusiker*innen sichtbar. In Bezug auf diesen Aspekt macht die Compilation „Bunt! - Geschichten und Lieder vom Verschiedensein und Zusammenhalten“ schonmal einen erkennbaren Unterschied, denn die hier versammelten Musiker*innen repräsentieren tatsächlich ein deutlich bunteres Abbild unserer Gesellschaft. Außerdem geht das Thema Vielfalt hier auch mit Formatvielfalt einher, denn Musikalbum, Buch und Hörbuch spielen sich bei „Bunt!“ gegenseitig zu. Die Macher*innen nutzen verschiedene künstlerische Ausdrucksformen, um die Potentiale einer diversen Gesellschaft zu würdigen und zu vermitteln. Nicht zuletzt bringen auch die drei federführenden Herausgeber*innen verschiedene Perspektiven mit in das Projekt ein. Die Kulturwissenschaftlerin Anna Taube arbeitet seit vielen Jahren als Lektorin, Autorin und Übersetzerin für verschiedene Kinder- und Jugendbuchverlage. Der Musiker Fetsum Sebhat und der Unternehmer Tedros „Teddy“ Tewelde bringen dagegen nicht nur ihre Expertise als Initiatoren von Peace-x-Peace – Europas größtem Benefizfestival für Kinder – mit, sondern verfügen durch ihre eigene Migrationsgeschichte auch über die nötige Empathie für so ein Konzeptalbum.

Hinsichtlich der Rahmenbedingungen wurde hier also vieles richtig und geradezu vorbildlich gemacht. Doch gute Rahmenbedingungen allein sind noch kein Garant für überzeugende Inhalte. Zumindest beim musikalischen Anteil der Produktion offenbaren sich zwei grundlegende Schwächen: Zum einen finden die meisten der insgesamt zehn Lieder keine wirklich kindgerechte Tonalität. Zum anderen werden auch hier überraschend viele Plattitüden bemüht, um das Thema Vielfalt anschaulich zu machen. Exemplarisch dafür steht der Song „Crazy“ von Florentina, die zum Stilmix aus Urban-Pop und Deutsch-Rap skandiert: »Schau uns an so bunt und voller Farbe / hör nicht drauf, was andere Hater sagen!« Auch Megaloh & Haller & Babyjoy kommen in „Leben ist bunt“ nicht über die üblichen Floskeln hinaus. (»Das Leben ist bunt und es wird noch viel bunter / es geht bergauf, nur noch hoch, nie mehr runter.«) „Alles gut“ von Nico Suave & Team Liebe sorgt sich dagegen um das Wohlergehen vernachlässigter Kinder, nimmt dabei aber vornehmlich die Perspektive überforderter Eltern ein. (»Sie ist Mama von ´nem kleinen Jungen / Papa ist verschwunden, seitdem tappen sie im Dunkeln.«) Mehr Distanz zur anvisierten Zielgruppe geht praktisch nicht!

Natürlich finden sich auf dem Album aber auch Titel, die stärker im Einklang mit den erklärten Absichten der Produktion stehen. Rapper Chefket lenkt mit „So viel mehr“ den Blick weg von oberflächlichen Zuschreibungen, hin zu Charakter und inneren Werten. (»Du bist nicht nur dein Name, nicht nur deine Sprache / nicht nur dein Job, nicht nur deine Farbe / nicht nur dein Geschlecht, nicht nur deine Fahne.«) Tom Beck & Dimi Rompos treten in „Ich will nur, dass du weißt“ für die Auflösung geschlechtsspezifischer Zuschreibungen ein, driften dabei aber in eine überraschend jugendliche Sprache ab. (»Wenn ich Bock hab Muckis pumpen zu gehen / in Baggie-Pants und im Hoodie, sag mir, wo ist das Problem?«) Wilhelmine wiederum macht sich in „Immer Liebe“ für die queere Community stark. (»Ey, ihr wisst, dass das´n Kampf war / wir sind da, nicht nur einmal im Jahr.«) Thematisch bringen diese drei Songs deutlich mehr Farbe und Kontur in das Projekt. Stilistisch, vor allem aber textlich lassen sie jedoch zu wenig Bemühen erkennen, tatsächlich Kinder und eben nicht Teenager in ihren Lebens- und Erfahrungswelten ansprechen und abholen zu wollen. Am Ende ist „Warum muss ich älter werden“ von Seven das wohl gelungenste Lied dieser Compilation, denn mit seinem Blick auf den Altersunterschied zwischen Kindern und Eltern findet es einen ebenso eigenwilligen wie kindgerechten Zugang zum Thema Vielfalt. (»Wann bin ich kein Kind mehr / und werde endlich auch mal gefragt?«)

Fazit: „Bunt!“ muss natürlich als Musik-Hörbuch und nicht als reines Musikalbum betrachtet werden, denn die Produktion lebt vom Zusammenspiel aus gelesenen Geschichten und gesungenen Liedern. Fraglich bleibt dennoch, welche Zielgruppe hier angesprochen werden soll? Ab sieben Jahren werden die Songs empfohlen, doch dieses Alter scheint angesichts der künstlerischen Umsetzung etwas zu niedrig angesetzt. Etwas zu leichtfertig wurde hier das Erfolgsrezept von Unter meinem Bett kopiert, ohne sich vorab hinreichend Gedanken um die Ansprüche und Hörgewohnheiten von Kindern gemacht zu haben. Man kann es nicht oft genug sagen: Gute Absichten führen in der Kindermusik nicht zwangsläufig zu guten Ergebnissen! Und es sind einfach nicht alle Musiker*innen dazu befähigt, gute Kinderlieder zu komponieren. Hinzu kommt, dass das Konzept der Produktion die kreativen Spielräume der Künstler*innen unnötig einschränkt. Ganz offensichtlich ist es gar nicht so einfach, sich in Musik und Text kindgerecht und zugleich originell für Diversität und Vielfalt stark zu machen. Vielleicht ist es in diesem spezifischen Kontext aber auch gar nicht so wichtig, worüber im Einzelnen gesungen wird, sondern vielmehr, wer singt? Bekanntlich lernen Kinder ja durch Vorbilder. Meine These: Je deutlicher die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in der Kindermusikszene sichtbar würde, desto weniger müsste sie im Kinderlied fortlaufend als Utopie thematisiert werden. Zumindest diesbezüglich macht „Bunt!“ einen großen Schritt in die richtige Richtung.


Video




Erschienen bei


BMG/Penguin Junior

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 2/5


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