01.01.2021


herrH: „Endlich Winter“



Das lustige Taschenbuch für die Ohren



Der Erfinder von „neuer deutscher Kindermusik“ stammt aus einem musikalischen Elternhaus. Mit bürgerlichem Namen heißt herrH nämlich Simon Horn und ist der Sprössling von Reinhard Horn, einem in der Kindermusik-Szene nicht ganz unbekannten Interpreten, der sich selbst gerne als „tollster Kinderversteher“ bezeichnet. Angesichts dieser Sozialisation baut sich bei manchen Eltern wohlmöglich gleich eine skeptische Erwartungshaltung auf. Es darf aber vorweggeschickt werden: Vom künstlerischen Einfluss seines Vaters hat sich herrH mit seiner Musik weitestgehend emanzipiert. Während der Senior mit erkennbarer Nähe zum Schlager zu punkten versucht, führt der Junior seine jungen Hörer*innen an deutlich modernere Klänge heran.

„Endlich Winter“ ist die zweite Veröffentlichung von herrH und formuliert den Anspruch, den ganzen Winter auf ein Album zu bringen. Es besteht aus 14 Eigenkompositionen, verzichtet also weitestgehend auf Cover-Versionen bereits bekannter Weihnachts- und Winterlieder. Lediglich „Ich geh mit meiner Laterne“ ist eine durchaus gelungene Neuinterpretation des beliebten Martinslieds, die als einer der wenigen Songs dieser Platte akustisch instrumentiert ist. Für alle anderen Lieder scheint herrH einen weiten Bogen um echte Instrumente gemacht zu haben. Musikalisch dominieren virtuelle Sounds und Beats, mit denen er sich redlich bemüht, den Stil moderner Popsongs zu imitieren.

Gut gelingt ihm die Aneinanderreihung unverfänglicher, kindgerechter Themen. Der Opener „Schneeballschlacht“ handelt von der Freude am ersten Schnee, mit seichtem Humor plädiert er in „Der Baum ist schief“ dafür, auch im Unperfekten das Schöne zu erkennen. (»Unser Baum ist ganz schön schief / unser Baum ist schief und schön / der schönste Baum den wir je hatten / man muss nur genau hinsehen.«) Mit einem hilfreichen Tipp, wie auch Kinder mit kleinen Füßen beim Nikolaus absahnen können, wartet „Morgen kommt der Nikolaus“ auf. (»Morgen kommt der Nikolaus / morgen steh ich ganz früh auf / stell die Gummistiefel raus.«) „Kekse“ macht die simple Feststellung, dass Kekse lecker sind (»Kekse, ich ess gerne Kekse / Kekse, Kekse, Kekse find ich gut«) und wehleidig wird in „Die Nase läuft“ über die Schattenseiten der kalten Jahreszeit gesungen. (»Mein Thermometer zeigt fast 300 Grad / um mich verdampft sogar das Wasser im Bad.«) Das sind nur ein paar Beispiele für nette Liedideen, musikalische Meilensteine sind es indes nicht.

Schwer zu ertragen sind die Synthie-Sounds in einem Lied wie „Harry, der Schneemann“. Überflüssig ist auch der Versuch, mit „Nach Haus (für alle Mamas und Papas)“ ein deutsches Pendant zu „Driving home for christmas“ abliefern zu wollen. Während in „Feuerwerk“ schließlich die Raketen in die Höhe schießen, erreicht die Platte ihren musikalischen Tiefpunkt: Eurodance at it’s best! Der letzte Song „Wenn der Winter vorbei ist“ besticht dann noch mit einer scharfsinnigen Erkenntnis: »Wenn der Winter vorbei ist, fängt was Neues an / und weil mein Winter lang war, wird auch der Sommer lang.« Für wahr, dank seiner musikalischen Eintönigkeit kommt einem „Endlich Winter“ tatsächlich etwas lang vor.

Fazit: Die finale Bewertung dieses Albums hängt stark vom Anspruch ab, den wir an Kindermusik formulieren. Prinzipiell bringt herrH alles mit, was ein Kindermusik-Star heutzutage braucht: Er ist jung, wirkt ausgesprochen sympathisch und wendet sich seinem jungen Publikum authentisch und nahbar zu. Gut gelingt ihm auch die Orientierung an Themen, die Kinder wirklich betreffen. Dabei vermeidet er jede inhaltliche Überfrachtung – und genau damit beginnt der schöne Schein zu bröckeln. Denn man darf und sollte Kindern inhaltlich wie musikalisch ruhig etwas mehr zutrauen. Klar kann man aus eingängigen Melodien, freundlichen Texten und modernen Sounds ein Kinderlied machen. In der Summe schimmert dabei aber zu wenig Anspruch durch. Im Ergebnis ist „Endlich Winter“ zwar perfekt produziert, klingt aber irgendwie seelenlos. Genau so, wie ein Großteil der glattgebügelten Hits aus Charts und Formatradio. Die Zuschreibung „moderne Kindermusik“ ist also nicht ganz von der Hand zu weisen, muss jedoch nicht zwingend als Qualitätssiegel interpretiert werden. Natürlich kann und darf man die Musik von herrH mögen und ganz sicher wird man Kindern damit auch keinen Schaden zufügen. Es wäre eher so, als würde man ihnen abends aus einem lustigen Taschenbuch vorlesen, anstatt aus einem guten Kinderbuch.


Video




Erschienen bei


Europa/Sony Music Entertainment Germany GmbH

Veröffentlicht


2014

Bewertung der Redaktion: 2/5


Künstler*in



Pressefoto "herrH"

herrH

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft