12.02.2021


Anton: „ertappt“



Lockruf aus dem popkulturellen Mainstream



„Die Zeiten der ewigen Streits um die Musikauswahl im Familienauto sind vorbei“, heißt es vollmundig im Pressetext dieses Albums. Da ist es wieder, das oft und gern bemühte Sinnbild für Kindermusik, die den Eltern den letzten Nerv raubt. Anton hat nun aber offenbar endlich das Rezept für Kinderlieder gefunden, die der ganzen Familie Spaß machen. Die Zutaten dafür bringt er allesamt mit: Dem Klavierunterricht folgte eine Zeit als Frontmann der Ska Punk-Band Senseless. Die Ausbildung zum Tontechniker erweiterte seinen musikalischen Horizont um technisches Know-How. Fortan tummelte sich Anton Nachtwey unter dem Künstlernamen Serk in der Berliner Rap-Szene. Er begleitete Sido und Eko Fresh auf ihren Tourneen und teilte sich sogar mit Kanye West die Bühne, bevor er schließlich begann, als Songwriter für Interpreten wie Mark Foster, Kool Savas, Die Atzen oder Wincent Weiss zu arbeiten. Und nun macht er als Anton also auch Musik für Kinder.

Diese beeindruckende musikalische Sozialisation lässt bereits erahnen, dass man „ertappt“ rein handwerklich kaum Vorwürfe machen kann. Das wird schon in den ersten Takten des Openers „Ich bin’s“ deutlich, der vom Sound einer amtlichen Brass-Section eröffnet wird. Sowas hört man in Kinderliedern bislang nur selten. Doch auch inhaltlich hält die Platte gute Momente bereit. „Fehler passieren“ wirbt für tolerante Nachsicht und befördert den Mut, trotz Rückschlägen immer wieder Neues auszuprobieren. (»Ist schon ok, wenn hier und da mal was hinüber geht / wichtig ist nur, dass man drüber steht.«) „Monsterparty“ verwandelt die Angst vor unliebsamen Gästen unterm Bett in ein nächtliches Fest und „Noch 5 Minuten“ zitiert die wahrscheinlich meistgenutzte Floskel eines jeden Kindes. Gleich zwei Versionen von „Kaum zu glauben“ verleihen dem Album sogar eine inhaltliche Klammer, indem sie der Sehnsucht nach Normalität jenseits von Lock-Down, AHA-Regeln und Home-Schooling eine hoffnungsvolle Perspektive eröffnen. (»Kaum zu glauben, wie ich euch vermiss / jeden, den ich sonst draußen treff / ich freu mich schon riesig – besonders auf dich.«) Alles solide Songs – und doch begleitet die Platte ein fader Beigeschmack, der sie von anderer Kindermusik unterscheidet.

Das Schlaflied „Bye Bye“ legt diesen Unterschied durchaus geschickt offen. Denn es singt das Kind eben nicht wie üblich in den Schlaf – stattdessen verabschiedet es sich mit dem Lied ganz freiwillig ins Bett. (»Bitte weint jetzt nicht zum Abschied groß los / aber ich bin schon auf Nachtsichtmodus. / Es ist für alle schwer, ich weiß / lasst euch das Abendbrot schmecken, ich verlass‘ den Kreis.«) Auffällig ist auch der etwas überambitionierte Einsatz von Jugendsprache. Bei Anton sind die Kinder plötzlich „lit“, haben „drip“, „bouncen“, sind „fly“ und feiern ihre „skills“. Ihr vorläufiger Lebenssinn scheint sich vor allem darüber zu definieren, in möglichst vielen Facetten ihre Coolness zu zelebrieren. (»Ich bin cool, so wie ich bin...« / »Du bist der coolste Mensch der Welt.« / »Hier bist du cool, wenn du cool bist.« / »Alle cool, so wie wir tanzen.«) Hinzu kommt, dass auffällig viele Lieder den Kern mehr oder weniger bedeutsamer deutscher Popsongs imitieren. Die Verwandtschaft zwischen „Coolster Mensch der Welt“ und Namikas „Lieblingsmensch“ offenbart sich schon im Titel. „Meine Gang“ könnte man als die jugendfreie Version von „Mein Block“ (Sido) bezeichnen. Und mit seinem stadiontauglichen Shout-Chorus ist „Prinzen & Kings“ gefährlich nah dran an Max Giesingers „80 Millionen“ (»Vielleicht werd ich irgendwann Profi / check dann mein Instagram-Profil. (...) Heute sind wir Prinzen, aber morgen sind wir Kings.«) Das alles ist sicher kein Zufall, sondern ohne Zweifel gewollt. Denn „ertappt“ wendet sich bewusst an die Kinder, die sich selbst gar nicht mehr als solche verstehen und hinsichtlich ihrer musikalischen Vorlieben schon längst dem Mainstream auf den Leim gegangen sind. Die wahre Kunst dieser Platte besteht darin, ihnen genau das als angesagten Lifestyle zu verkaufen. Der Song „Mein Grind“ bringt diese fadenscheinige Absicht gezielt auf den Punkt: »Das ist einfach mein Ding, mein Lifestyle / ich hab andere Vorbilder als ihr hattet – Zeitgeist. / Überraschung, seid doch nicht geschockt / darf ich vorstellen: Mein eigener Kopf.«

Fazit: „ertappt“ ist eine gute Platte für Kids, die den Lockrufen des popkulturellen Mainstreams nicht mehr wiederstehen können oder wollen. Mit der Kombination von modernen Sounds und durchaus klug getexteten Lyrics, die einen weiten Bogen um verniedlichende Kindersprache machen, versucht sich Anton an der Neudefinition von Familienpop. Kindermusik ist das allerdings nicht mehr, denn die meisten Songs handeln davon, eben kein Kind mehr zu sein. Diesen inhaltlichen Ansatz zu kritisieren wäre grundverkehrt, denn er zeugt durchaus von Innovationswillen. Trotz seiner ausgewiesenen Expertise verpasst Anton aber die Chance, die künstlerischen Freiheiten, die Kindermusik grundsätzlich bietet, lustvoll auszukosten. Stattdessen hat er sich dazu entschieden, die musikalischen Erfolgsrezepte der Pop-Industrie für angehende Teenager runterzubrechen. Klar wird das vielen Kindern gefallen. Doch wenn schon im Opener „Ich bin’s“ ein Loblied auf Individualität gesungen wird, warum vermittelt die Platte dann das Gegenteil davon? Für meine Begriffe steckt in dieser Produktion deutlich mehr geschäftiges Kalkül als künstlerische Haltung. So gesehen ist zumindest der Albumtitel durchaus klug gewählt: Ertappt!


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Erschienen bei


Karussell / Universal Music GmbH

Veröffentlicht


2021

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Anton

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