20.08.2021


Bummelkasten: „Irgendwas Bestimmtes“



Detailverliebtes Debut eines talentierten Einzelgängers



Trotz einer stetig wachsenden Anzahl von gelungenen Musikproduktionen für Kinder, hält sich das Vorurteil, dass Kindermusik nervt und in aller Regel vollkommen unprofessionell umgesetzt ist, sehr hartnäckig. Umso euphorischer werden die Veröffentlichungen abgefeiert, die dieses Vorurteil zu widerlegen versuchen. Fast inflationär werden dann Zuschreibungen wie „einzigartig“, „außergewöhnlich“ oder „Grenzen sprengend“ in den Mund genommen. So geschah es auch im Fall von Bummelkasten. Innerhalb kürzester Zeit formierte sich nach der Veröffentlichung seines Debut-Albums „Irgendwas Bestimmtes“ eine große Fangemeinde, die längst nicht nur aus Kindern besteht. Zufall, oder tatsächlich das Resultat einer besonderen Musik-Produktion für Kinder?

Hinter der One Man-Band steckt der Berliner Musiker Bernhard Lütke. Schon lange bevor er sich der Kindermusik zuwandte, war er Mitglied der Künstlergruppe „Karmanoia“, die unter anderem durch immersive Kunstinstallationen auf sich aufmerksam machte. „Rolltreppenmax“, das Lied, das zum viralen Hit wurde und Bummelkasten zum musikalischen Durchbruch verhalf, ist eng mit der Geschichte dieses Kollektivs verknüpft. Da es in dem Künstlerhaus nämlich an Toilettenkomfort mangelte, ging man bevorzugt im nahegelegenen Kaufhaus aufs Klo – und ließ bei der Gelegenheit auch gleich eine Rolle Klopapier mitgehen. Demzufolge heißt es im Lied: »Und so macht er auf seine eigene Weise / eine kleine Abenteuerreise / Rolltreppe runter, Rolltreppe empor / hellblaue Mütze, Lutscher hinterm Ohr / Küsschen an der Kasse und als Souvenir / eine Rolle Klopapier.«

Das klingt erstmal relativ sinnbefreit und nicht nach einem Kinderlied im klassischen Sinne, doch genau solche Irritationen zeichnen das Album „Irgendwas Bestimmtes“ aus. Bummelkasten ist nicht auf die musikalische Umsetzung kindgerechter Themen fokussiert, sondern arbeitet sich, vornehmlich spaßgetrieben, an Widersprüchlichem ab. Humorvoll verbindet sich in „Bestellt“ Konsumrausch mit Konsumkritik. (»Jetzt steht ich unterm Baum, ich wurde reich beschert / Großmutter schau doch mal, mein neues Laserschwert.«) Bewusst reproduziert „Prinzessin Susi“ zunächst allerlei weibliche Klischees, um dann umso unmissverständlicher mit stereotypen Rollenvorbildern aufzuräumen. (»Sie wird gefürchtet weit und breit / hat ne Pistole unterm Kleid / Schluss mit Schmusi, hier kommt Susi / die härteste aller Prinzessinnen.«) Und in „Wandern“ wird ausgerechnet eine der wahrscheinlich langweiligsten Beschäftigungen für Kinder besungen, zugleich aber verklärte Naturromantik sprachlich geschickt mit der Lebensrealität der Digital Natives verknüpft. (»Der Stream plätschert und die Vögel zwitschern ihren neuesten Tweet. / Altbewährtes Entertainment das uns seit je zu Füßen liegt.«)

Dieser überaus kreative Umgang mit Sprache macht allerdings nur einen Teil des Erfolgsgeheimnisses von Bummelkasten aus. Von herausragender Qualität ist darüber hinaus auch die musikalische Umsetzung seiner Lieder, die er einzig und allein mit seiner Stimme instrumentiert. Gemeinhin wird in solchen Fällen von A-Capella gesprochen, doch Lütkes eigenwilliger Stil wäre damit nur sehr unzureichend beschrieben. Trotz minimalistischer Mittel strotzen seine Lieder nur so vor Ideenreichtum. Nicht nur inhaltlich lotet das Album also die Grenzen des Kinderlieds aus. Somit stellt sich die Frage, ob bei Bummelkasten überhaupt noch von Kindermusik die Rede sein kann? Wer Zweifel daran hat, dem seien Lieder wie „Shiny hat genug“, „Bulli Battmann“ oder „Hausmeister Klaus“ ans Herz gelegt. Die Songs stehen exemplarisch für das erkennbare Bemühen, die Gedanken- und Erlebniswelt von Kindern fest im Blick zu behalten. Und selbst wenn im Lied „Kommt ihr bitte“ eine der am häufigsten von Eltern formulierte Aufforderung an ihre Kinder und damit eher deren Perspektive aufgegriffen wird, verpackt Bummelkasten die Message so, dass sie für Kinder nicht nur nachvollziehbar bleibt, sondern vor allem auch lustig rüberkommt. Es mag also sein, dass sich „Irgendwas Bestimmtes“ nicht auf Anhieb als Musikproduktion für Kinder erschließt. Gerade das macht die Platte aber so überaus interessant und hörenswert.

Fazit: Eindrucksvoll stellt Lütke unter Beweis, dass sich Kindermusik nicht in einem isolierten musikalischen Kosmos bewegen muss, sondern dass gerade aus der bewussten Hinwendung zu den Unterschieden und Widersprüchen zwischen Kinder- und Erwachsenenperspektive Kunstvolles entstehen kann. Dabei fühlt sich der Musiker weder einem pädagogischen Auftrag verpflichtet, noch lässt er sich stilistisch vom Zeitgeist einengen. Derart befreit läuft er als Bummelkasten zur kreativen Höchstform auf und liefert mit „Irgendwas Bestimmtes“ ein Debut-Album mit krampflösender Wirkung ab. Stimmungsvoller Höhepunkt der Produktion ist der Song „Chronisch euphorisch“, in dem Lütke singt: »Alle gucken sauer, was ich auch bedauer / doch ich hab so viel Power, die muss einfach raus.« Mit diesem Album scheint er genau das richtige Ventil für seine überbordende Energie gefunden zu haben. „Irgendwas Bestimmtes“ ist ein detailverliebtes Debut eines talentierten Einzelgängers – und ja, in der Tat ein einzigartiges, außergewöhnliches und Grenzen sprengendes Kindermusik-Album. Vor allem aber eines, das wahnsinnig viel Freude bereitet.


Video




Erschienen bei


Oetinger Audio

Veröffentlicht


2017

Bewertung der Redaktion: 5/5


Bewertung der Leser*innen: 5/5


Künstler*in



Pressefoto Bummelkasten

Bummelkasten

Ein Kommmentar



21.08.2021 07:32

Fräulein Feli



Oh ja, jetzt, ja!
Danke, Ihr habt mich gerettet.
Mit 50+ zähl ich wohl ehr zur FanGemeinde „Kind geblieben“ und muß mich nach MamaLauda‘s treffsicherer Rezension nu nicht mehr komisch fühlen, wenn ich Herrn Lütkes Creationen einfach geiler find als mein Kind (11 jetzt, 7 bei BummelkastenEntdeckung).
Ich weiß noch, ich war auf so einem unsäglichen „Kind mit dem Auto zur Schule kutschier“-Trip (weil Bus mal wieder ausgefallen), als ich auf KiRaKa „Hausmeister Klaus“ hörte und es kaum glauben konnte, wie lässiglustig-intelligentiefsinnig-wahnsinnig&witzig-krasskreativ ist das denn!?!! Nun ja, seither ist „WegmitderHeckeWegWeg“ zum persönlichen Credo und BummelkastenInspiration zum lebensfreudigen AlltagsKopfRadio geworden.
Danke Herr Lütke, dass Sie Looper geworden sind…

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