Albumcover "Von Monsterstreiks und Kissenschlachten"
13.05.2022


3Berlin: „Von Monstertreiks und Kissenschlachten“



Spektrum vs. Standpunkt



Beinah zehn Jahre ist es inzwischen her, dass 3Berlin ihr erstes (und genau genommen auch einziges) Kindermusikalbum veröffentlicht haben. 2013 erschien „Von Farbenfeen und Stinkesocken“ und erzeugte damals, so ehrlich muss man sein, nicht so furchtbar viel Resonanz innerhalb wie außerhalb der Kindermusik-Szene. In der Zwischenzeit ist allerdings einiges passiert. Das handwerklich begabte Berliner Kollektiv – bestehend aus Carsten Schmelzer, Diane Weigmann und Tobias Weyrauch – ist der Kindermusik zwar treu geblieben, hat sich aber weniger auf seine künstlerische Selbstverwirklichung, sondern gezielt auf Auftragsproduktionen spezialisiert. Von einem Liederalbum über das Grüffelo über die Vertonung von Janoschs Kult-Geschichte „Oh wie schön ist Panama“ bis hin zu Soundtracks von Kinofilmen wie „Lauras Stern“ oder „Benjamin Blümchen“, haben sich die drei Musiker*innen einen ausgezeichneten Ruf als Produzent*innen-Team für klingende Kindermedienangebote erarbeitet. Mit den zwei Compilations Nicht von schlechten Eltern haben sie darüber hinaus eine besondere Form der Netzwerkarbeit betrieben und damit ganz nebenbei die künstlerische Vielfalt in der Gattung Kindermusik hörbar gemacht. Erst vor wenigen Wochen erschien die Produktion „Singen und Bewegen“, für das dem Trio der Popstar Sasha als musikalischer Begleiter zur Seite stand. Nur kurze Zeit später bereichern 3Berlin mit „Von Monsterstreiks und Kissenschlachten“ nun das Portfolio des in Sachen Kindermusik ausgesprochen umtriebigen Oetinger-Verlags aus Hamburg und präsentieren sich endlich wieder auch als eigenständige Künstler*innen. Zeit wird’s!

Leise Klänge einer Spieluhr führen in das Album ein. Eine Finte, denn nach nur wenigen Sekunden werden die schon wieder von einer verzerrten Baseline abgelöst, die den mitreißenden Opener „Werft die Kissen in die Luft“ untermalt – ein schöner Gute Laune-Song, der mit bewährter Animationslyrik und eingängigem Mitgröl-Refrain Lust auf die Band, wie auch auf das Album macht. Es folgen 14 weitere Lieder, die mit viel Sprachwitz und reichlich musikalischem Sachverstand ganz unterschiedliche Themen, Fragen und Gemütslagen von Kindern aufgreifen. „Ab in die Falle“ gibt beispielsweise dem kindlichen Widerstand beim ins Bett gehen schwungvollen Ausdruck. „Warum“ geht empathisch den Ursachen für Kindliche Neugier auf den Grund. (»Wieso willst du nicht mal andere Fragen ausprobieren / weil mich außer „Warum?“ keine Fragen interessieren.«) Die Ballade „Bei dir bin ich zu Haus“ findet einen stimmigen Ausdruck für das wohlige Gefühl, sich bei jemandem aufgehoben zu fühlen. (»Bist mehr als ein Freund, wie drück ich es aus? / Bei dir bin ich zu Haus.«) Und „So‘n Rummel“ fordert im Trubel eines wilden Jahrmarkts Raum für Ruhe und Rückzug ein. (»Ihr habt Spaß, doch wisst ihr was / mir ist der Rummel viel zu krass.«) Fünf Songs, die das qualitative Mittelfeld der Platte gut umreißen.

Doch leider kommen in einigen Momenten auch kleine Schwachstellen zum Vorschein. Da wäre zum Beispiel der Song „Wer legt ein Ei“, der zwar lustige Wortspiele abfeuert, in seiner Gesamtheit aber etwas zu didaktisch daherkommt. (»Fische sieht man selten Brüten / sie brauchen ihren Laich nicht hüten.«) Ähnliches lässt sich bei „Kein Ding“ beobachten. Das Lied fühlt sich dem wahrlich schönen Anspruch verpflichtet, Fehlertoleranz zu kultivieren, bekommt durch die Aufzählung sehr konkreter Fehlleistungen allerdings die Anmutung eines vertonten „Was ist was?“-Buchs. (»Es gab einmal nen Klebstoff, der gar nicht kleben blieb / draus wurden Klebezettel die man liest und dann abzieht.«) „Anno Dazumal“ übt sich dagegen in der Einordnung historisch bedeutsamer Personen und Ereignisse, setzt durch die Aufzählung vieler Kindern vermutlich unbekannter Namen aber die Anschlussfähigkeit an die junge Zuhörer*innenschaft auf’s Spiel. (»Weckte Störtebecker damals schon ein Wecker / hatte wohl Napoleon damals schon ein Telefon.«) Wenn dann noch „Der Frosch“ sein ödes Tagesgeschäft als Wetterfrosch beklagt (»Heut benutzt doch jeder Depp / ohnehin ne Wetter-App.«) und wenig später auch das „Halloween Monster“ mit seinem beruflichen Dasein hadert (»Lieber um die Häuser ziehen / als Halloween mit 3Berlin.«), zeigen sich überraschende erzählerische Redundanzen.

Dann gibt es da aber auch wieder Lieder wie den „Veggie Reggae“, der sich als Ernährungssong mutig auf dünnes Eis wagt, dank eines Mixer-Solos und eines Han Solo-Solos (Starwars-Bezüge funktionieren bei Kindern ja schließlich immer) nicht nur stilistisch, sondern auch in Sachen Humorverständnis sehr überzeugend rüberkommt. (»Das Lied geht ab wie Dönermit. / Guten Appetit.«) Mit unüberhörbaren musikalischen Bezügen zu Prince und seinem Song „Kiss“ findet auch „Mädchen Kissen Jungs“ sehr schöne Worte und Sinnbilder für das für Kinder ungewohnte Gefühl gegenseitiger Zuneigung. (»Was ist das mit euch beiden, genauso geht es vielen / seit wann könnt ihr denn nicht mehr richtig miteinander spielen?«) In seiner Mischung aus inhaltlicher Relevanz, musikalischer Verspieltheit und popkulturellen Bezügen, markiert dieser Song eindeutig den Höhepunkt der Platte und zeigt, zu was 3Berlin fähig sind, wenn sie kreativ zur Höchstform auflaufen.

Fazit: Auf „Von Monsterstreiks und Kissenschlachten“ loten 3Berlin das Kindermusik-Spielfeld in viele verschiedene Richtungen aus und profitieren dabei von ihrer über Jahre gewachsenen Expertise. Die drei Musiker*innen verstehen sich vortrefflich darauf, ihr Wissen und ihr Können in musikalische Vielfalt umzuwandeln. Was dabei allerdings unter die Räder gerät, ist das künstlerische Profil des Kollektivs. Was zeichnet 3Berlin als Kindermusiker*innen aus? Welche Haltung liegt der musikalischen Arbeit des Trios zugrunde? So richtig vermag das Album keine Antwort auf diese Fragen zu geben. Diese Beobachtung spiegelt sich auch im Titel der Platte wieder. Wie schon das Debutalbum „Von Farbenfeen und Stinkesocken“, beschreibt auch „Von Monsterstreiks und Kissenschlachten“ eher ein thematisches Spektrum, als einen Standpunkt. Fast scheint es, als könne oder wolle sich die Band nicht darauf festlegen, wofür sie denn nun steht. Wenn die Platte mit dem kurzen „Geburtstagsständchen“ recht unvermittelt endet, verstärkt sich dieser Eindruck einmal mehr. Zugegeben, das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Von der Sorgfalt, dem Sprachwitz und dem musikalischen Können dieses Trios können sich viele Kindermusiker*innen noch eine dicke Scheibe abschneiden! Dass Carsten Schmelzer, Diane Weigmann und Tobias Weyrauch handwerkliche Qualität abliefern, haben sie schon oft unter Beweis gestellt – und das tun sie auch hier. „Von Monsterstreiks und Kissenschlachten“ zeichnet ein buntes und ohne Zweifel auch ansehnliches Gesamtbild. Eine tiefere Botschaft möchte es seinen Hörer*innen aber bis zuletzt nicht preisgeben. Vielleicht ist das der Preis den man zu zahlen hat, wenn man sich als Musiker*in in seiner täglichen Arbeit mehr mit den Wünschen und Ansprüchen anderer Menschen, anstatt mit dem eigenen künstlerischen Selbstverständnis befasst.


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Erschienen bei


Oetinger Media GmbH

Veröffentlicht


2022

Bewertung der Redaktion: 3/5


Künstler*in



Bandfoto 3Berlin

3Berlin

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