01.01.2021


herrH: „Wenn ich groß bin“



Bewährte Animationslyrik zu partytauglichen Elektrobeats



Eines muss man herrH lassen: Sein musikalischer Output ist erstaunlich hoch. 2013 gab Simon Horn mit „herrH ist da!“ sein Kindermusik-Debut. Mit „Wenn ich groß bin“ hat er in nur sieben Jahren bereits sein fünftes Studioalbum veröffentlicht – und gleichzeitig die Plattenfirma gewechselt. Bei Sony Music angefangen, ist er von einem Flaggschiff der Musikindustrie auf das andere umgestiegen und nun bei Universal Music mit an Bord. Ansonsten scheint aber alles beim Alten geblieben zu sein. Strukturelle Veränderungen müssen ja auch nicht zwangsläufig mit einer künstlerischen Neuerfindung einhergehen – erst Recht nicht, wenn man mit dem bisherigen Konzept recht gut gefahren ist.

Bereits mit dem Albumtitel geht herrH auf Augenhöhe zu seinen jungen Fans. Denn der unvollständige Halbsatz „Wenn ich groß bin“ suggeriert im Umkehrschluss, dass er offenbar noch nicht erwachsen – oder besser: auch als Erwachsener immer noch Kind geblieben ist. Auf derlei sprachliche Bilder greifen Kindermusiker*innen gerne zurück, wenn sie die Authentizität ihrer musikalischen Arbeit betonen möchten. Folgerichtig findet die Metapher auf dem Album-Cover auch eine visuelle Entsprechung: Zu sehen ist eine Miniaturausgabe von Simon Horn, lässig angelehnt an einen überlebensgroßen Stapel... Musikkassetten? Für jemanden, der sich mit dem Label „Neue deutsche Kindermusik“ schmückt, ist das ganz schön 90er. Welches Kind soll mit diesem Bild etwas anfangen können?

Egal, denn es soll hier ja nicht um die persönliche Inszenierung, sondern um die Musik von herrH gehen. Und tatsächlich kommt der erste Song seiner Platte recht vielversprechend daher. „High 5“ überrascht mit lässigem Groove und ironischen Wortspielereien. (»Komm wir tun uns zusammen, gründen ne Konditorei / backen die allergrößte Torte, alle kommen vorbei. / Füllen jede Bäckerei mit unserer brotlosen Kunst / nie wieder trocken Brot, es geht vorwärts mit uns.«) Da horcht man für 2’14 Minuten erstmal neugierig auf – doch leider macht das darauffolgende „Tierisch“ den gelungenen Einstieg sogleich wieder zunichte. Die Aneinanderreihung tierischer Metaphern (»Da fliegt die Kuh, da steppt der Bär / ich glaub mich tritt ein Pferd / ich fühl mich tierisch.«) ist ebenso missglückt, wie die musikalische Umsetzung mit künstlichen Casio-Sounds. Zudem steht das Lied exemplarisch für die zwei auf dieser Platte bevorzugt genutzten Stilmittel. Erstens: Aufzählungen. „100.000 Fragen“ stellt gefühlt tatsächlich tausende von Fragen, „26 Buchstaben“ reiht das gesamte Alphabet vorwärts wie rückwärts aneinander und auch der für sich genommen eigentlich recht gelungene Titelsong „Wenn ich groß bin“ zählt letztlich nur Zukunftsvisionen eines Kindes am Fließband auf. Stilmittel Nr. 2: Animationslyrik. Im Folgenden ein paar Kostproben: »In die Knie, in die Knie / mach dich klein, so klein warst du noch nie.« („TSVH Turn- und Sing-Verein“). Oder: »Schüttel schüttel, wackel wackel / zappel zappel, hüpf hüpf.« („Boah das nervt“). Auch schön: »Hak dich einfach bei deinem Nachbarn ein – und dann / drehen wir uns im Kreis.« („Im Kreis“). Und nicht zu vergessen: »Wir sind in der Disco, in der Kinderdisco / Kinder in der Disco.« („Kinderdisco“) Hunderte von Kinderliedern beschränken sich auf derlei Verse, die nun wirklich nicht den Maßstab für „neue deutsche Kindermusik“ definieren.

Zwar finden sich auf dem Album einzelne Lichtblicke, etwa wenn herrH in „Hugbard von Gelegentlich“ auf eine mittelalterlich anmutende Instrumentierung zurückgreift, oder in „Weltreise“ tatsächlich vergleichsweise weltoffen klingt. In den meisten Momenten bietet dieses Album aber nur Variationen der immer gleichen erzählerischen Muster, eingebettet in partytaugliche Elektrobeats.

Fazit: Leider hat herrH mit „Wenn ich groß bin“ die Chance vertan, seine bewährte musikalische Herangehensweise um frische Ideen zu bereichern. Positiv formuliert könnte man auch sagen: Er hat seinen Stil gefunden. Doch wie soll man diesen Stil nennen? Schlagertechno vielleicht? So richtig mitreißend ist das alles jedenfalls nicht. Weder besticht die Produktion durch musikalischen Einfallsreichtum, noch durch inhaltliche Sorgfalt. Vornehmlich scheinen die Songs darauf ausgelegt zu sein, in der Live-Umsetzung funktionieren zu müssen. In dem Setting sind Kinder natürlich dankbar für jeden Aufruf zu Tanz und Bewegung. Doch was können sie darüber hinaus aus diesen Liedern mitnehmen? Das ureigene Potential von Kinderliedern, kindgerechte Emotionen zu erzeugen, bleibt hier weitestgehend unberücksichtigt. Und musikalische Stilbildung hat sich herrH ganz sicher auch nicht auf die Fahnen geschrieben. Wir dürfen gespannt sein, ob sich daran nochmal etwas ändern wird. Vielleicht, wenn er groß ist?


Video




Erschienen bei


Karussell / Universal Music GmbH

Veröffentlicht


2019

Bewertung der Redaktion: 2/5


Künstler*in



Pressefoto "herrH"

herrH

Kommentar hinterlassen









×









gefördert von
Christiane Weber Stiftung zur Förderung von Kindermusik
Partner
ConBrio Verlagsgesellschaft