01.01.2021


Matthäus Bär: „Zucker“



Zwischen Zutrauen und Zumutung



Laut Pressetext gilt Matthäus Bär als der „Posterboy der unter Zehnjährigen, ein Liebling musikalisch aufgeklärter Eltern und der Fixstern am Firmament heimischer Kinderzimmerdiscos.“ Wer derart überzeugt für sein musikalisches Schaffen wirbt, der kann sich nicht allein auf seine künstlerische Selbsteinschätzung berufen. In Österreich hat sich der Wiener Musiker mit seinem extravaganten Stilmix längst eine solide Fanbase erspielt. Hierzulande ist er noch eher unbekannt, dabei ist er musikalisch ein echter Verwandlungskünstler. Nachdem er auf seinen Vorgängeralben mit Rock und Chanson experimentierte, versüßt er uns die Zeit auf „Zucker“ mit Synthie-Pop. Gleich der erste Song „86401“ bekennt stilistisch Farbe und wickelt Eltern, die sich in der Musikkultur der 80er Jahre wohlgefühlt haben, charmant um den Finger. Aber hat das Album mehr zu bieten als melancholische Rückbesinnung Erwachsener auf die eigene Kindheit oder Jugend?

Ich muss zugeben, dass mir der Zugang zur musikalischen Arbeit von Matthäus Bär anfangs nicht leicht fiel. Meint der das ernst, oder geht es ihm nur darum, angelehnt an das künstlerische Konzept von Musikern wie Christian Steiffen, Guildo Horn oder Dieter Thomas Kuhn die Gattung Kindermusik zu persiflieren? Lässt man diese Skepsis außen vor und sich stattdessen ernsthaft auf seine Musik ein, dann lichtet sich der Nebel rasch. Denn die Songs lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Bär seine Zielgruppe kennt – und ernst nimmt. Auch bei ihm wird getanzt, geschimpft, gespielt und abends nicht in Bett gegangen. Sprachlich wird all das jedoch deutlich verspielter erfasst, als wir es aus Kinderliedern gewohnt sind. Der familiäre Dauerstreit ums ins Bett gehen, wird in „Nachtaktiv“ zu einer rebellischen Kampfansage. (»Wir bleiben heut Nacht wach / das schlafen holen wir einfach morgen nach / der Vollmond hängt heut wieder schief / wir sind bis zum Morgengrauen nachaktiv.«) Auch das Lied „Partysong“ gibt dem kindlichen Wunsch nach Emanzipation von den eigenen Eltern Raum. (»Wir wollen auf Partys keine Eltern (...) / ich kann nicht feiern wie ein wildes Tier / denn es sind ja noch Eltern hier.«) Ein Song wie „Liebesbriefe“ scheint sich dagegen auf den ersten Blick nicht an der Lebenswelt von Kindern zu orientieren, bezieht dann aber doch geschickt die kindliche Perspektive mit ein. (»Ich schicke meine Liebesbriefe / nur an Leute deren Namen ich schon schreiben kann.«) Und wo andere über den Reim »Ich geb Gas, Roller fahren macht so viel Spaß« nicht hinauskommen, singt Bär im Lied „Roller Pop“: »Und ich ziehe mit zwei Rändern meine Spur auf den Asphalt / und du hörst nur wie mein Fahrtwind hinter dir verhallt.«

Das sind wahrhaft kreative Wortgebilde, die im Zusammenspiel mit der Musik ihre volle Wirkung entfalten. An dieser Stelle dürfte es für manche Hörer*innen aber kritisch werden, denn Matthäus Bär pflegt einen eigenwilligen Stil, der sich nicht an die Spielregeln zeitgenössischer Popmusik hält. Es ist schwer zu sagen, was sich beim Hören seiner Musik mehr in den Vordergrund drängt: Die von seiner seichten, mit Wiener Schmäh angereicherten Stimme vorgetragenen Texte, oder die eigenwillige Klangkulisse, in die seine Songs eingebettet sind? Kinder wie Eltern werden mit diesem Album zu einem klaren Bekenntnis herausgefordert: Entweder liebt man es, oder man wendet sich irritiert ab.

Fazit: Dieses Album ist ein selbstbewusstes künstlerisches Statement und eine gekonnt umgesetzte Liebeserklärung an die Popkultur der 80er Jahre – auch wenn nicht jeder Song durch Originalität besticht und Matthäus Bär innerhalb seines eng gesteckten musikalischen Kosmos mehr Experimente hätte wagen können. Er erklärt den Bruch mit Kindermusik-Tradition zum Konzept und denkt die Eltern in jedem Takt als Hörer*innen mit. Zugleich unterstreichen dezent eingebundene Kinderstimmen immer wieder sein Bekenntnis zur eigentlichen Zielgruppe. Trotzdem wird „Zucker“ polarisieren. Ob Matthäus Bär den Kindern mit diesem Album etwas zutraut oder zumutet, ist am Ende eine Frage des persönlichen Geschmacks. In jedem Fall vermittelt er aber stilistische Eigenständigkeit und präsentiert sich damit als eigenwilliger Künstler. Er selbst beschrieb seinen Ansatz in einem Interview so: »Ich habe schon oft überlegt, einen Skihüttenhit zu schreiben, aber dazu muss man schon speziell drauf sein. „Finger im Po, Mexiko“ – das musst du spüren. Das lässt sich nicht konstruieren.«


Video




Erschienen bei


Phonotron

Veröffentlicht


2018

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Pressefoto Matthäus Bär

Matthäus Bär

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